… (das alte Frankreich) hab ich heute im französischen Parlament, der Assemblée Nationale, gesehen. Mit dabei: die Garde Républicaine, menschliche Brieftauben und ein Bernard Kouchner, der „seine Ehre verteidigt[e]“.
„Bitte stecken Sie sich ihren Pressepin an, wir sind da sehr strikt“, sagt einer der Bewacher der Vorräume in der Assemblée Nationale und zwinkert uns etwa zehn Journalistenschülern zu. Wir folgen seinen Anweisungen, trotten dann in den Salle des Quatre Colonnes. Da streunen auch einige der Abgeordneten herum, geben zwischendurch den anwesenden Journalisten Interviews – zum Thema droit d’amendement, loi de l’audio-visuel etc.
„Ecartez-vous“, (Gehen Sie zur Seite) werden sie da jäh unterbrochen, „la Garde Républicaine arrive!“ Und rund 20 Nationalgardisten, in blau-rot-goldenem Prunk, mit Hüten und Säbeln, marschieren lautstark durch den Saal. „Ca sert à quoi?“ (Wozu ist das denn gut?) frage ich einen der Bewacher, als die Jungs sich im Saal nebenan aufpostieren. „A rien“, (Zu nichts) antwortet der geradeheraus. Das gehöre eben zum Protokoll, mehr nicht.
Um von dem auch ja nichts zu verpassen, stellen wir uns wenig später hinter die Soldaten der alten Schule. Ich frage den Trommler neben mir, ob ihm sein Job Spaß mache: „Ja“, antwortet der begeistert, „schließlich machen wir viel Musik, sind im (Präsidentenpalast) Elysées, dem Senat und der Assemblée bei offiziellen Empfängen.“ Und das viele Warten störe ihn nicht, frage ich weiter? Nein, schmunzelt er nur, das gehöre eben zum Job.
Seine Geduld hätte ich auch gerne, denn 20 Minuten müssen wir noch das „Kranichbein machen“, wie die Franzosen zu sagen pflegen (für „Beine in den Bauch stehen“). Dann geht sie los, die mindestens zehnsekündige Empfangszeremonie für den Parlamentsvorsitzenden Bernard Accoyer …
Davon ist auch mein Kolleeesche Fabien begeistert …
Sobald die Jungs sich zurückgezogen haben, traben wir zur Tribune hoch, von wo aus wir den „questions d’actualité“ zuhören, bei der die Regierung sich Fragen aus dem Abgeordneten-Publikum stellen muss.
Auf rote Samtsitze geflezt sind die Parlamentarier im „Hémicycle“ (Halbkreis) verteilt, die Regierungshühner haben das Privileg der ersten Stange, die am nähesten am Vorsitzenden ist. Der sitzt ein halbes Stockwerk höher, zu seinem Podest führen links und rechts braune Holztreppen.
Zwischen Accoyers Hochsitz und Rachida Dati, Christine Lagarde etc. ist aber noch eine Stuhlreihe: die der Parlaments-Brieftauben. Denn während der gesamten (natürlich höchstspannenden!) Diskussion schreiben sich die Abgeordneten ständig kleine, weiße Briefchen. Deren Auslieferung übernehmen die Brieftauben: ein halbes Dutzend Männer und Frauen im schwarzen Anzug/ Kostüm mit weißem Hemd und weißer Fliege.
Wäre dem anders, würde die Sitzung wohl komplett im Chaos verlaufen – Letzteres beschränkt sich so auf laute Zwischen- und Buhrufe und eine Murmel-Geräuschkulisse.
Die stirbt plötzlich ab, als der Chef der französischen Diplomatie das Wort ergreift – um sich gegen Anschuldigungen im Buch „Le monde selon K.“ zu verteidigen, das heute in Frankreich erschienen ist. Pierre Péan behauptet darin unter anderem, Bernard Kouchner habe seinen politischen Einfluss geltend gemacht, um die Regierungen des Kongos und Gabuns dazu zu bringen, Rechnungen bei Firmen zu begleichen, für die er vorher gearbeitet habe.
„Ich war immer auf der Seite der Opfer“, verteidigt sich der Mitgründer von Médecin sans frontières. „Zu keinem Zeitpunkt habe ich meine ministeriellen Funktionen missbraucht.“ Und der französische Außenminister und Minister für Europäische Angelegenheiten fügt hinzu, der Autor wolle ihn als Personifizierung der „Contre-Idée de la France“ darstellen.
Eine Andeutung auf die Salengro-Affäre der dreißiger Jahre, wie mir Walid ins Ohr flüstert. Dieser Abgeordnete hatte sich im November 1936 das Leben genommen, weil die rechtsradikale Zeitung Gringoire eine verbale Hetzjagd auf ihn veranstaltete.
Der Vergleich mit der K.-Affäre hinke jedoch, meint Claude Bartholone, Abgeordneter von Seine-Saint-Denis, später, zurück im Salles des quatres colonnes: „Pierre Péan hat selbst gesagt, es solle ihm jemand einen einzigen Satz zeigen, der sich darauf beziehe!“
L.