… hab ich gestern zugeschaut. Und war froh, als Fragen stellende Journalistin nicht zum potentiellen Opfer zu werden.
„Ich kündige Dich mal lieber per Mikrofon an“, Arnaud grinst mich an und fügt hinzu: „Nicht, dass sie sich bedroht fühlen – vor allem die ‚illegitimen’ Pärchen …“ Und schon raunt der DJ neben mir mit rauchiger Stimme ins Mikrofon: „Heute ist übrigens eine junge Journalistin unter uns, Lisa. Die will eine Reportage schreiben und Ihnen gleich einige Fragen stellen, nicht erschrecken!“ Schon denke ich, die Ansage ist vorbei, da fügt Arnaud schnell hinzu: „Achja, und sie tanzt gerne Boléro …“ Ich versuche, ihn in die Seite zu boxen, doch er windet sich lachend weg und ruft mir zu: „Mal gucken, vielleicht fordert Dich ja jetzt jemand auf!“
Tolle Aussichten, denke ich nur, und schaue auf die Tanzfläche vor mir: Circa 20 Rentner zwischen 60 und 80 schaukeln dort langsam hin und her, in eine Traumwelt versunken. Drumherum sitzen weitere 40 bis 50 von ihnen, die Ööömken mit Perlenkettchen und Spitzenoberteil, die Öööpken mit Anzug und Krawatte. Sie alle sind hier für den „Thé Dansant“, den Tanztee. In ganz Paris gibt es solche Parties fürs Alter, in Diskos, die sonst zum Rocken für die Jugend dienen.
Ob man wohl auch in dem Alter noch auf der Jagd ist?, frage ich mich still. Und bekomme meine Antwort prompt beim ersten Interview: Danielle sitzt wie hingegossen alleine auf einer Eckbank, nippt an ihrem Wasserglas. „Hier herrscht schon eine ganz besondere Stimmung“, sagt die 62-Jährige, „es geht ums Tanzen, Jagen, Graben“, meint sie und grinst.
Die Jäger würde man auch recht schnell erkennen, so die blonde Rentnerin im goldenen Rock: Erst schlichen sie sich an, beobachteten einen, dann forderten sie zum Tanz auf und dann – würde man ihrer schnell müde werden. „Die meisten Jäger sind nämlich nicht die besten Tänzer“, sagt Danielle und lacht.
Und während es um mich rum weiter bolérot, swingt, rockt und latinot, versuche ich einen von diesen „Jägern“ auszumachen. Leider erfolglos. Glaube ich. Bis auf einmal Martin* neben mir steht – ein Bein lässig auf der Stufe hinter uns abgestellt, den linken Arm auf das Geländer, an dem wir lehnen, gelegt. Er lächelt mich leicht zweideutig an. Um jeden Zweifel auszuräumen, krähe ich schnell: „Oh, hallo, ich bin Journalistin, darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“ Und ich grinse breit.
Bei so viel Charme meinerseits kann Martin nur ja sagen – und ich gebe alles: Ob er denn auch schon davon gehört hätte, von den „Jägern“ beim Tanztee? „Chasseurs?“, (Jäger) fragt er mit wässrigen Augen zurück und fährt sich über den kahlen Kopf. „Das Wort gefällt mir nicht.“ Besser gefällt ihm: Sympathie und mehr, wenn Affinitäten bestehen.
Ob Affinität oder Jagd, geklappt hat es bei ihm wohl schon, erfahre ich nach einigem Nachhaken. „Wäre ja auch schade, wenn nicht“, meint der 55-Jährige, „schließlich komme ich seit 30 Jahren hierher.“ Von der Zahl beeindruckt, vergesse ich leider zu fragen, ob er auch schon mit 25 beim Tanztee gejagt hat oder er früher zu den Rocknächten der jüngeren Generation ging. Eine durchaus berechtigte Frage, wo doch schon heute der Altersunterschied zwischen ihm und den anwesenden Damen zwischen 20 und 30 Jahren beträgt …
Anstatt dessen bekomme ich die wertvolle Information, dass Martin seine jetzige Frau in selbigem Lokal kennen lernte, vor 14 Jahren. „Aber“, fügt er schnell hinzu, „das dürfen Sie jetzt nicht schreiben!“ So könne man eins und eins zusammenzählen, erzählt er mir aufgeregt und wisse, wer da spreche. „Na, und?“ meine ich, „Sie sagen doch nur, dass Sie ihre Frau hier kennen gelernt haben …“ „Ja, aber“, fügt Mister Loverboy mit einem verschmitztem Lächeln hinzu, „wenn meine Frau das liest und mich erkennt, dann weiß sie auch, dass ich noch immer hierher komme – und zwar ohne sie …“
Ein echter Jäger also, denke ich.
L.
* Name von mir geändert