… (die erste komplett schlaflose Nacht) habe ich gerade in meinem Hostel verbracht. Schuld daran: ein paar völlig betrunkene Iren und eine Horde immer wilder werdender Franzosen – von denen einige am Ende der Nacht sprichwörtlich auf mich drauf sprangen.„Lui, c’est Betrand, le grand relou“, stellt Aurélien weiter seine Freunde vor. Er also ist der Nervige von den sieben Franzosen, die die nächsten drei Tage in unserem Hostel bleiben werden. Was das genau bedeutet, erfahre ich allerdings erst am Ende der Nacht. Jetzt, gegen halb zwölf, schicke ich die Twens zunächst zum „Pub Crawl“. Für zehn Euro werden sie von ein paar Reiseführern durch verschiedene Kneipen des Ausgehviertels Bairro Alto geführt. Ausserdem von unserem Hostel bei der Tour dabei sind drei Iren, die ihre Liebe zum Alkohol noch genügend unter Beweis stellen werden…
Nun aber erst einmal – Ruhe. Ich unterhalte mich mit den wenigen, im Hostel gebliebenen Gästen, lese meine Zeitungen, schreibe Emails. Bis, gegen halb fünf, die ersten Ausläufer des Orkans das Hostel erreichen: Ein völlig betrunkener Ire torkelt durch die Tür, sagt irgendetwas auf Irisch zu mir und zieht von dannen. Kurze Zeit später kommt er zurück um die Ecke getorkelt, mit Handy und Aufladegerät bewaffnet. Nach einem kurzen, fragenden Blick in meine Richtung (meine Augen verfehlt der junge Mann), stopft er Letzteres in die Steckdose hinter meinem Rücken, tippt dann wild auf der Handy-Tastatur herum … und wird brüsk von zwei weiteren Iren unterbrochen, die durch die Tür torkeln.
„Ach, da seid ihr ja!“ schreit er ihnen auf 50 Centimeter entgegen, nun plötzlich auf Englisch – und seine Freunde brüllen zurück (diesmal auf Irisch). Das Gejaule währt jedoch nicht lange und nach einer kurzen Vorstellungsrunde steht plötzlich Cisco (Ire Nummer eins) rechts neben mir, säuselt: „Go to youtube, please – type ‚Battle at Kruger‘ “ und fügt hinzu: „You gotta watch this, you gotta watch this … “ – in Endlosschleife. Der Inhalt des Videos: kleine Löwen, die sich an einem Büffelkalb festbeissen, zwischendurch von einem Krokodil angenagt und schliesslich von der Büffelherde angegriffen werden. Unterbrochen wird die Show von „Ohs“ und „Ahs“ der drei Iren um mich rum. Ich lache die meiste Zeit, bin verdutzt – über die drei Iren, die morgens um fünf, völlig betrunken als allererstes auf die Idee kommen, einen Tierfilm zu gucken.
Der animalische Instinkt in den drei Jungen Männern weckt mein Pflichtbewusstsein und mit einer leisen Vorahnung frage ich nach ihren Namen, und ob sie ihre Rechnung schon bezahlt haben. Nein, das hätten sie nicht, antwortet Neall, Ire Nummer zwei. Und schon schicke ich ihn auf sein Zimmer, um die Kreditkarte zu holen. Bereitwillig trabt er auch nach oben, bringt mir die Beute und zahlt – um halb sechs Uhr morgens.
Inzwischen klingeln die nächsten Partylöwen an der Tür – die sieben Franzosen sind zurück, mit vier Französinnen im Schlepptau. Neall ist nach dem Bezahlen gleich bei mir am PC geblieben, von dort aus beobachten wir die Hostel-Herde. „Weißt Du“, raunt er mir zu. „Robert (Ire Nummer drei) ist ‚a lady’s man‘.“ Und Neall guckt ein bisserl bedröppelt. „Ich wünschte, ich wär auch einer … “ fügt er leise hinzu.
Was genau „lady’s man“ in diesem Falle bedeutet, erfahre ich circa eine Stunde später. In der Hoffnung auf wenigstens 30 Minuten Schlaf diese Nacht habe ich es mir auf einem unserer Sitzballen bequem gemacht, schließe die Augen, will gerade sanft entschlummert. Da quetscht sich jemand neben mich, schiebt mich immer weiter in Richtung Ballen-Abgrund. „Hey!“, rufe ich dem Womenizer zu und versuche, verlorenes Terrain wieder zurück zu gewinnen. Gelingen will das jedoch nur so halb, und kurze Zeit später liege ich halb auf ihm, versuche, den Körperkontakt zu ignorieren. „Man hat mich ja schon vorgewarnt“, meine ich zu ihm. „Hä?“ fragt er zurück. „Naja, Du bist halt der lady’s man.“ Und Robert lacht erst kurz auf, beschwert sich dann lautstark bei seinen Kumpanen. „Weißt Du“, raunt er mir zu, „das machen die nur, um mich aus dem Rennen zu stechen… “ Und sein Kopf kommt meinem immer näher. „Hmm. Da wär ich mir nicht so sicher“, entgegne ich und lache. Robert lacht zurück, grunzt dann leicht verärgert vor sich hin. „Das ist unfair … “ murmelt er.
Kurze Zeit später hab ich meinen Sitzballen zurückerobert, die Hälfte der Partylöwen ist in ihre Kojen gekrochen, schlafen kann ich deswegen nicht. „DJ Lisa“, ruft Neall vom PC herüber. „Ich brauche Deine Hilfe bei der Musikauswahl!“ Und so beschallen wir die Tanzfläche (das Wohnzimmer), bis es schließlich an der Tür klingelt – der Bäcker bringt wie jeden Morgen das frische Brot.
Als ich damit zurückkomme, sind die Feiernden wie vom Winde verweht, ich trabe in die Küche, setze Kaffee auf. Gerade fülle ich Schokopops in eine der dafür vorgesehen Plastik-Boxen, da kommen zwei (Bertrand und Édouard) der schlafend geglaubten Franzosen in die Küche getrabt – in Boxershorts. „Lisa“, raunt Bertrand mir zu, „Du bist echt ein nettes Mädchen!“ und fällt mir um den Hals. Ich sage nur „Jaja“, klopfe ihm auf die Schulter, schiebe ihn weg – und fülle weiter Cornflakes um. Doch er lässt sich nicht abschütteln, kommt mir, in seinen Boxershorts, wieder gefährlich nahe. Dann fragt er: „Ist es eigentlich wahr, dass Deutsche sich nicht an den Beinen rasieren?“ und greift nach meinem Bein. „Nein“, entgegne ich, hüpfe mit meinen Cornflakes aus seinem Einflussbereich. „Und zwischen den Beinen…?“ fragt er indiskret weiter. „Bertrand!“ greift da sein Kollege, Édouard, ein – und sagt zu mir: „Lisa, antworte einfach nicht!“ „Genau das hatte ich auch vor“, meine ich und laufe rüber ins Esszimmer. „Ausserdem – zieht Ihr Euch erstmal was an!“ rufe ich ihnen im Rausgehen zu.
Aus „An“- machen die beiden „Ausziehen“ und kurze Zeit später steht Monsieur Relou in der Tür – mit heruntergelassenen Hosen. Édouard lacht nur laut, hat auf einmal eine Kamera in der Hand und meint: „Lisa stell Dich mal daneben, ich will ein Photo machen!“ Ich gucke Édouard nur ungläubig an (Bertrand ignoriere ich) und meine: „Es gibt Sachen, die will man weder wissen noch sehen …“ Dann schlurfe ich mit dem Rest der Brötchen ins Obergeschoss, zum zweiten Frühstücksraum. Als ich zwanzig Minuten später wieder die Treppe runterkomme, sind sie weg. Ein Glück, denke ich und verstehe besser, warum Bertrand auch „Le Relou“ genannt wird.
L.