… erlebe ich gerade in meinem Lissabonner Hostel. Die Gefahren dabei: 35 wildgewordene amerikanische Teenager, vier betrunkene, nicht zu verstehende Österreicher und gurrende Tauben …
„Oh my God!“ schreit die 16-jährige Amerikanerin durch das Hostel-Wohnzimmer. „I can`t believe, I pashed him!“ (Ich kann nicht glauben, dass ich ihn geknutscht hab!) und sie schlägt sich die Hände vors Gesicht. Renee aus Oz, mit sechs Nächten eine unserer Dauergäste, guckt erst mich, dann die kleine Amerikanerin fragend an: „Aber“, sagt Renee, „was ist denn daran schlimm?“ „No – you don`t understand!“ (Nein – Du verstehst nicht!) greift der Ami neben Renee ein. „Sie ist erst 16 – und er 22!“ Die kleine Amerikanerin quiekt erneut, Renee lächelt nur schief, schüttelt den Kopf und trabt davon.
Es ist meine dritte Nachtschicht in dem Lissabonner Hostel „Lisbon Old Town“, in dem ich einen Monat lang arbeiten und alle zwei Nächte wohl keinen Schlaf bekommen werde.
„Zwoa Bier bittä“, tönt es von vor der Rezeption, an der ich sitze. Stefan aus Österreich hält mir ein Zwei-Euro-Stück entgegen, nimmt sich zwei der kühlen Dosenbiere aus dem Kühlschrank neben der Tür. Da fällt mir das Tattoo auf seinem Oberarm ins Auge. „Was isn das alles?“ frage ich meinen österreichischen Gast. „So einiges“, antwortet der, „Ein Anker, Rosen … – und ich hab noch eins.“ Er zieht sein T-Shirt hoch: Zum Vorschein auf der einen Seite seines Oberkörpers kommt eine Südsee-Landschaft in Farbe. „Das ist wie eine Sucht“, erzählt Stefan weiter. „Ich weiß schon, wo das Nächste hinkommt …“ Er zeigt auf die andere Seite seines Oberkörpers, grinst verschmitzt und hüpft davon.
Gegen halb vier ist ein bisschen Ruhe eingekehrt ins Lisbon Old Town. Viele Gäste schlafen, der Großteil der Ami-Teenager und auch die Österreicher sind ausgeflogen zum Feiern ins nebenan gelegene Bairro Alto. Gleich werde ich es mir bequem machen auf meinem Nachtschichten-Bett, dem Sofa im Wohnzimmer – räume nur noch schnell die Bierdosen auf der Terrasse weg. Doch: Ich bin nicht schnell genug. Als ich wiederkomme, liegt bereits ein geschätzt 14-jähriger Ami auf meinem Sofa, zieht gerade meine Decke über seinen Kopf: „Oh, you cant sleep here … „, sage ich. Daraufhin steht er murrend auf, schlurft zurück in sein Zimmer und Bett.
Verwirrt lege ich mich hin, will gerade sanft entschlummern, da geht mit einem Knarren die Wohnzimmer-Tür auf. Zwei meiner amerikanischen Lieblingsgäste schlurfen auf die PCs zu – die ich gerade wink-mit-dem-zaunpfahl-mässig ausgeschaltet hatte. Gesehen hatten die beiden mich in der Dunkelheit jedoch nicht, und als ich mich aufsetze, hüpfen sie in die Höhe, fallen fast hintenüber. Klar können sie auch morgen früh ins Internet, meinen sie erschrocken, fallen rückwärts durch die Tür, zurück in Richtung ihrer Zimmer.
Ich sinke wieder auf mein Sofa, direkt hinein in den Tiefschlaf, wo ich jedoch nur circa zehn Minuten verweile, dann werde ich unsanft von der Türklingel aufgeschreckt: Die Schluchtenfreunde sind zurück und strömen ins Wohnzimmer. Zwei von ihnen taumeln gleich in ihr Zimmer, die anderen zwei meinen, mir noch Gesellschaft leisten zu müssen: Während ich mir die Decke bis zum Kinn ziehe, brabbelt Stefan in mein linkes, Fritz in mein rechtes Ohr – beide reden gleichzeitig über völlig unterschiedliche Themen und in ihrem Kauderwelsch, was ich nur halb verstehe. Zwei Minuten halte ich das aus, dann richte ich mich auf, sage: „Sagt mal, seht Ihr nicht, dass ich schlafe?“ Daraufhin meint Fritz (rechtes Ohr): „Okay, ich geh ins Bett.“ Er schlurft davon. Stefan jedoch lässt sich nicht abhalten, brabbelt noch zwei Minuten weiter, dann kapiert auch er es, setzt sich mit seinem Bier in der Hand auf eines unserer überdimensionalen Sitzkissen, legt den Kopf zurück und fängt an zu schnarchen.
Stoisch versuche ich, die Situation zu ertragen, brauche jedoch mindestens eine halbe Stunde, um wieder in meine Wattewelt zu entschlummern. Genau in dem Moment öffnet sich erneut die Wohnzimmertür mit einem Knarren, einer der Amerikaner schlurft laufstark in Richtung Terrassentür und zückt eine Kippe. Draußen begrüßen inzwischen die Tauben leise gurrend den Tag. Der nun unter die Top-Five der Lieblingsgäste aufsteigende Ami fühlt sich wohl alleine, fängt an, in das Gurren mit einzustimmen, jedoch dreimal so laut wie die noch zurückhaltenden Tauben.
Es ist inzwischen halb sechs – noch zwei Stunden bis zum Frühstück, das ich vorbereiten muss. Verzweifelt versuche ich, mir trotz Schnarchens und Gurrens noch anderthalb Stunden Schlaf zu holen. Und – es funktioniert. Gegen sieben klingelt der Brötchenmann an der Tür und ich – frisch wie die Morgenröte – strahle ihm ein „Bom dia!“ entgegen, beginne meinen morgendlichen Dienst. Zwei Stunden muss ich noch aushalten, dann kann ich endlich in mein Bett – mein eigenes!
L.