… und rein in den Rachen von TAP Portugal bin ich zum Auftakt meines Lissabon-Aufenthalts. So kam ich zwar wohlbehalten an im kleinen Portugal, doch ausser meiner Airline schien auch der Rest der Landes gegen mich zu sein.
„Wir haben bestimmt Verspätung“, meint die kleine Portugiesin neben mir. „Aber ist nicht schlimm, hab meiner Familie schon Bescheid gesagt.“ Ich nicke ihr zu, hoffe, dass sie Unrecht hat und gucke aus dem Fenster. Flughafen Frankfurt. Von dem Lufthansa-Streik war und ist nicht viel zu sehen. TAP Portugal, die staatliche Airline, mit der ich nach Lissabon fliege, teilt zwar ihre Schalter mit unserer deutschen Super-Fluglinie mit dem gelben Logo, funktioniert hat das Check-In jedoch reibungslos.
Doch wir stehen. Und bleiben stehen. Als unser Flieger sich endlich in Bewegung setzt, haben wir bereits 15 Minuten Verspätung, nochmal 15 Minuten später erhebt das Flugzeug sich endlich in die Luft – nach einer schier endlosen Odyssee über die Landebahnen des Frankfurt Airports.
„Jetzt flutscht es endlich“, denke ich, lächele meiner Nachbarin, der kleinen Portugiesin, zu – und irre mich: Das Flugzeug startet durch, scheint aber auf halber Höhe zu halten, zwischen den Wolken. Über Frankfurt liegen dichte Wolken, wir nehmen jedes Luftloch mit. Die Turbinen scheinen zu haken, jedenfalls klingen sie sehr viel leiser als noch vorher, beim Aufsteigen. „Fallen wir jetzt wieder runter?“ frage ich meine Nachbarin. Die zuckt mit den Schultern. Dann jedoch gehts auch schon weiter nach oben. Ich lehne mich zurück.
Drei Stunden später erstrecken sich die Ausläufer Lissabons vor uns. Insgesamt nur fünf Minuten Verspätung würden wir haben, hatte der Pilot vor kurzem durch die Lautsprecher gesagt. Nun sieht das Ganze anders aus: Wir kreisen über der schönen Metropole, fliegen in Richtung Meer statt Flughafen. „Wir bekommen bestimmt keine Landeerlaubnis“, meint die kleine Portugiesin und lächelt verschmitzt. „Hmm“, antworte ich, „eine Landung auf dem Wasser?“ Es sieht fast danach aus – plötzlich geht die Maschine runter, auf dem Wasser landen wir jedoch nicht, auch nicht in einem der Hügel der Grossstadt, sondern erreichen die Landebahn.
Flughafen Lissabon, Gepäckband Nummer sechs. Senhora Portuguesa und ich stehen dort, warten. Eine halbe Stunde später setzen sich die schwarzen Gumminoppen in Bewegung, drehen ihre Kreise. „Meiner kommt bestimmt zuerst“, sage ich triumphierend. „Schliesslich war ich schon drei Stunden vor Abflug am Schalter.“ Sie schüttelt den Kopf, antwortet: „Die Ersten sind immer die Letzten.“ Und dabei hat sieihren Koffer kurz nach mir abgegeben.
Fünf Minuten später grinst die Dame breit, zieht ihren Koffer vom Gepäckband. „Tja, dann noch gute Weiterfahrt“, sagt sie und schüttelt mir die Hand. „Wünsch ich Ihnen auch“, sage ich lächelnd. Sie hat noch zwei Stunden Autofahrt vor sich, also ist das schon okay, wenn ihr Koffer als erstes kommt.
Um Gepäckband sechs wird die Menschenmenge immer dünner. Zwei kleine Koffer drehen ihre Runden, ganz allein – ein kleiner, runder, roter und ein eckiger schwarzer. Ein Hippy-Pärchen steht dort mit seinem kleinen Jungen auf dem Arm. Der trägt ein Trikot der portugiesischen Fussball-Nationalmannschaft. Als „echten Portugiesen“ hatte meine Sitznachbarin ihn deswegen betitelt. Ich sehe nur die zwei grossen, beladenen Gepäcktrolleys der Eltern.
„Kommt noch mehr Gepäck?“ frage ich den Vater. „Nein“, sagt der strahlend, „das steht doch da vorne.“ Er zeigt auf die Anzeigetafel am Anfang des Gepäckbandes. Die beiden bleiben trotzdem stehen – wollen sie denn noch mehr Koffer abstauben, frage ich mich, und halte verzweifelt Ausschau nach meinem kleinen Rucksack. Vergeblich. Schliesslich kommt die Mutter auf mich zu und meint: „Vielleicht ist Ihr Gepäck dort oben, beim Band für besonders grosse Koffer.“ Ich danke ihr, bezweifle, meinen Rucksack am Gepäckband eins zu finden, checke aber trotzdem. Nichts.
„Ansonsten können Sie sich dort drüben beschweren“, hatte die Frau gesagt und auf ein Büro mit einer langen Schlange vor der Schiebetür gezeigt, am anderen Ende der Halle. Mangels Alternativen hüpfe ich leicht nervös dorthin. „318“ steht auf der Nummer, die ich ziehe – die Anzeigetafel zeigt „308“ an. „Kann ja nicht so lange dauern“, denke ich – und irre mich. Gefühlte drei Stunden und zehn im Geiste ermordete Vordrängler später sitze ich noch immer da, bin aber nur noch eine Nummer vom Dran-Kommen entfernt. Dann das ersehnte Bimmeln.
„Olá“, strahlt mich eine TAP-Servicedame an. Und bleibt freundlich während meines gesamten, verzweifelten Vortrags. „Also“, sagt sie nach einem Kontroll-Anruf beim … Flugzeug ? … „Ihr Rucksack ist nicht hier, dann wird er bestimmt noch in Frankfurt sein.“ Und sie lächelt wieder. Dann füllt sie ein Formular aus, kringelt die Beschwerde-Nummer ein und schickt mich zu meiner Jugendherberge – dorthin soll er geliefert werden. „Der kommt bestimmt“, hat sie am Ende beruhigend gesagt – und ist meinen Fragen nach dem „Und wenn nicht?“ ausgewichen. „Dann müssen wir eine ganz andere Prozedur durchgehen … “ hatte sie nur angedeutet. Ich hoffe, dass wir das nicht müssen.
Hoffentlich fahren die Busse noch, denke ich, mache mir Sorgen um meinen Geldbeutel. Fehlanzeige. Ich steuere auf das nächste Taxi zu. „Boa noite“, sagt der Fahrer mürrisch. „Até a Rua do Ataíde“, meine ich. Er dreht sich um: „Die Strasse kenne ich nicht!“ entgegnet er und starrt mich leicht provozierend an. Ich starre verdutzt zurück, denke „Nee, is klar, ich find Standpläne auch völlig überbewertet“ und verzichte auf das verbale Blutbad – mein Gehirn funkioniert nicht mehr, meine Portugiesisch-Kenntnisse funktionieren (hoffentlich) noch nicht. Ich schicke ihn zum Platz Luis Camoes.
Nach einer stillen halben Stunde kommen wir dort an, auf dem Taxometer steht „8,35 Euro“. Er dreht sich um und sagt: „Zehn Euro.“ Ich gucke ihn an, zeige auf das Taxometer und frage, warum die Fahrt teurer sein sollte als der angezeigte Betrag. „Vom Flughafen gibts immer nen Aufpreis.“ knurrt er. Ich bluffe: „Das letzte Mal war das aber nicht so … “ Und er entgegnet: „Ausserdem ist es nachts eh teurer“, holt eine Liste raus und zeigt auf einen Preis: „14 Euro“. Vielleicht hat er Recht, denke ich … Ich gebe ihm wortlos seine zehn Euro, steige aus und knalle die Tür. Egal, wer Recht hat, ich brauche ein Opfer. Auf das ich sauer sein kann.
Als solches präsentiert sich auch der kleine, nette Hostelboy, den ich bald an der Rezeption meines Hostels ersetzten werden. „247 Euro“ zeigt er mir als Rechnung für die 33 Nächte, die ich reserviert habe. „Aber“, entgegne ich, „das war doch der Deal – ich arbeite hier und kriege Kost und Logis frei.“ Der Boy zuckt mit den Schultern, sagt: „Das musst Du Morgen mit Joao klären.“ Ja, denke ich. Die Welt ist gegen mich.
Gegen mich sind auch die Telefonzellen der Welt – als ich kurze Zeit später meine Eltern mit meinem Drama volljammern will, frisst der blöde Münzautomat mein 2-Euro-Stück.
Und Lissabon an sich ist gegen mich: Die ganze Nacht über höre ich von meinem Bett aus die Wagen, die an unserem Hostel vorbeifahren, die Menschen, die sich auf der Strasse unterhalten, einen Typen, der die GANZE Nacht mit seinem hellem Lachen durchgackert, direkt vor unserem Fenster.
Und die Mücken sind gegen mich – sie stechen mich, unter meiner Armbanduhr! Was macht man bei Mücken in einem Achter-Zimmer, frage ich mich im Halbschlaf. Und entscheide mich dagegen, das Licht anzumachen und auf die Jagd zu gehen. Ich lasse die anderen schlafen und hoffe auf einen besseren, nächsten Tag.
L.