Bienvenue chez les chleuhs…

… (Willkommen bei den Deutsch-Köppen) hieß es am Wochenende für meine kleinen französischen Freunde Cécile, Jean-Baptiste und Marion. Angesichts der Tatsache, dass es für sie alle (fast) ihr erstes Mal Deutschland war, hätte sich Letzteres aber ein bisserl mehr anstrengen können – dachten die drei wohl auch und redeten über Ampeln, Essen und natürlich, wir sind ja in Hamburg, das (Schiet-)Wetter.

„Wie grün das hier ist“, sagt Marion und bestaunt die blühenden Bäume an Außenalster und in deren Umgebung. „Ja“, meine ich, „das liegt unter anderem an dem erfrischenden Wetter.“ Ich grinse mein nicht ganz ernst gemeintes Joker-Grinsen. Und wie auf Kommando fangen zum Hundertsten Mal an diesem Tag Regentropfen an, vom Himmel zu fallen.

„Ja“, bestätigt Cécile trocken. „In Deutschland ist wirklich kein schönes Wetter.“ Und sie guckt mich böse, mit zusammengekniffenen Augen an, gleich darauf hellt sich ihr Gesicht auf, und sie lacht.

Es ist der erste Abend von Dreien, den Marion, Cécile und deren Mann (die beiden haben kürzlich geheiratet) Jean-Baptiste (JB) bei mir in Hamburg verbringen. In aller Gemütsruhe schlendern wir von der Außenalster in Richtung Rathaus – diese Gemütsruhe wird nur von einem kurzen, heftigen und überraschenden Schauer unterbrochen. Eine Wetterlage, die – surprise, surprise – das ganze Wochenende so bleiben wird.

Genauso schnell wie der Schauer angefangen hat, ist er aber wie gesagt wieder vorbei – und uns stellt sich das nächste Problem in den Weg (beziehungsweise es stand da und hat auf uns gewartet): eine Ampel. Ganz nach Französken-Manier laufen die drei – und ich hinterher – wie streunende Wölfe über die Straße, wir nähern uns dem rot strahlenden Ampelmännchen auf der gegenüberliegenden Seite. Zurückgelassen haben wir zwei andere Fußgänger, die brav auf grün warten – genauso wie die junge Dame auf dem Fahrrad, in deren Richtung wir laufen.

„Hä?“, Cécile guckt mich verständnislos an. „Wieso warten die denn alle?“ Genauso verständnislos schaue ich zurück: „Naja, wir sind hier in Deutschland“, sage ich. „Da befolgt man Regeln!“ Céciles Augenbrauen entspannen sich noch eine ganze Weile nicht, sie schüttelt stumm den Kopf. In Frankreich muss man als Fußgänger keine Strafe zahlen, wenn man bei rot über die Ampel geht, wird sie mir später das von mir in Frankreich schon festgestellte Verhalten der Französken im Straßenverkehr erklären. Entsprechend sei auch immer der Autofahrer schuld bei einem Unfall – egal, ob der nun grün oder rot habe.

Unterdessen nähern wir uns dem Rathaus. Der Regen hat zwar nachgelassen, die relative Kälte jedoch ist geblieben. „Aber, habt Ihr denn keinen Sommer hier?“, fragt mich Cécile. Ich lache nur. In dem Moment kommen wir an einem jungen Mann vorbei, dem wohl nicht so kalt ist wie meinen Franzosen: Er steht mit heruntergelassener Jeans auf dem Bürgersteig – unter der er jedoch noch knielange Shorts trägt. Der Mann ist nach vorne gebeugt, juckt wie wild an seinen Beinen.

Wir gehen an ihm vorbei, bleiben auf dem Rathausplatz stehen, JB schießt ein paar, leicht unterbelichtete Fotos. Cécile kann ihren Blick noch nicht von dem jungen Mann mit den juckenden Beinen lösen. Der hat inzwischen seine Hose wieder hochgezogen, schlurft auf uns zu. Gerade wollen wir die Distanz zwischen ihm und uns wieder erhöhen, da bleibt er stehen – und zieht sein Hemd aus. Denn: Auch sein Oberkörper scheint zu jucken.

Nicht für den Juckreiz, aber doch für den Exibitionismus fällt Cécile kurze Zeit später der Grund ein: „Ich habs!“, ruft sie. „In Deutschland sind 15 Grad im Sommer noch warm, deswegen ist dem jungen Mann so heiß…“ Triumphierend guckt sie in die Runde, rückt ihren Wollschal zurecht. Ich grinse nur und nicke – mit einem Augenzwinkern.

Der nächste Morgen. Gegen halb elf erhebe ich mich aus meinem Bett und schlurfe ins Wohnzimmer. Dort sitzen sie, wie hungrige Wölfe: „Je crève la dalle…“, (ich sterbe vor Hunger) begrüßt mich Marion leidend. Die anderen zwei nicken zustimmend und gucken mich flehend an. So viel Leid kann ich nicht mit ansehen und beeile mich, alles in meinem Küchen-Schrank Essbare (und zum Franzosen-Frühstück Geeignete, sprich: Brot mit süßem Aufstrich) auf den Tisch zu schaffen. Kurze Zeit später beißen die drei genüsslich in ihre Brötchen, befinden sich scheinbar im siebten Himmel.

„Nach meinem Hunger kann man die Uhr stellen“, meint Cécile kauend. Direkt nach dem Aufstehen habe sie Hunger, um elf Uhr gäbe es einen Zwischensnack, um eins das Mittag-Essen. Um vier Uhr esse sie das „goûter“ (so etwas wie Kaffee und Kuchen), um 18.30h zu Abend. Die inneren Ess-Uhren von JB und Marion funktionieren ähnlich – bis auf die Tatsache, dass bei Marion noch die „Sieste“, das obligatorische Mittagsschläfchen nach dem Mittagessen hinzukommen (ein Glück, dass sie bei ihrem Praktikum ein eigenes Büro hat…).

Und plötzlich fühle ich mich deutsch, oder einfach nur – Lisa. Schließlich sind mir feste Mahlzeiten ein Graus, Essen nach Hunger ist für mich das Schönste – und der kommt, wann er will. „Das ist echt seltsam“, meint Marion. „Überall habt Ihr Deutschen Regeln, die Ihr einhaltet – nur beim Essen nicht.“ „Naja“, meine ich. „Für ganz Deutschland kann ich nicht sprechen…“

Draußen regnet es indes mal wieder. Trotzdem raffen wir uns auf, eine halbe Stunde später – und traben in Richtung U-Bahn. Auf dem Weg dahin: eine Ampel. Wieder laufen wir alle wie Straftäter über rot, das schlechte Gewissen macht sich aber langsam in meinen Franz-Freunden bemerkbar: „Da schämt man sich richtig, wenn man nicht an der Ampel stehen bleibt“, raunt mir Cécile zu und praktiziert schnell auf den Boden starrend Vogel-Strauß-Technik – ganz nach dem Motto: Wenn ich keinen sehe, sieht mich auch keiner.

Um Hamburg meinen drei Gästen wenigstens etwas schmackhaft zu machen, schleppe ich sie in den nächsten zwei Tagen von den Landungsbrücken, in die Speicherstadt, ins Modelleisenbahn-Museum „Miniatur Wunderland“, an die Schanze, nach Sankt Pauli, nach Altona und und und …

Zu Ende ihrer kleinen Deutscher-Norden-Tour kommen wir abends wieder bei mir zuhause an, beziehungsweise von zuhause trennt uns nur noch – eine Ampel. Sie ist rot – und die Wölfe um mich rum bleiben stehen. „Jetzt sind wir Deutsche“, meint Marion leicht spöttisch, traut sich aber nicht, auch nur einen Fuß auf die Straße zu setzen. „Genau“, entgegne ich, „endlich befolgt Ihr mal die Regeln“, und zwinkere ihr zu.

L.

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About Lisa (ich selbst)

Huhu! Ich bin Lisa. Seit 2005 wohne ich nun im schönen, kleinen Paris. Schön ist's hier, nette Leute gibt's und viele lustige Dinge passieren. Aber - lest doch einfach selbst... L.