Der Hochzeit zweier Normannen…

…durfte ich am Wochenende beiwohnen – und beobachten, wie eine ruhige, gediegene Gesellschaft sich in eine wilde Horde ringeltanzender Partymäuse verwandelte…

„Oh, wie schön!“, ruft Marion und zeigt auf die Kuhherden, an denen wir vorbeifahren. Verwirrt gucke ich sie an, woraufhin sie nur sagt: „Ja, Lisa, ich weiß – ich erfülle das Pariser Cliché: Meine erste Kuh habe ich auf der Messe ‚Salon de l’Agrigulture‘ in Paris gesehen.“ Und das, obwohl Marion aus Nizza und nicht aus Paris kommt. Aber da unten gibts anscheinden auch kein Rindvieh.Anastasia und Sebastien auf den Vordersitzen grinsen sich nur an, während sie unserer Kuh-Diskussion lauschen. Anastasia ist Polin und arbeitet bei der Société Générale. „Ja“, hat sie vorher erzählt. „Jérôme Kerviel kenne ich auch.“ Bei ihm hätte sie ein Vorstellungsgespräch gehabt, wollte seine Assistentin werden. Jetzt ist sie glücklich, dass sie nicht genommen wurde – Kerviels Assistentin sei nun auch in der juristischen Bredouille, erzählt Anastasia. Die hätte wohl nicht genug Fragen gestellt, als Kerviel ihr lauter dubiose Anweisungen gegeben hätte.

Draußen fliegen die Landschaften vorbei, wir nähern uns Dieppe. Das ist eine 30.000-Seelen-Stadt in der Normandie, nahe Rouen (dort, wo Jeanne d’Arc angeblich verbrannt wurde). Ich werde mich den ganzen Tag anstrengen müssen, nicht „Dorf“ anstelle von „Stadt“ zu sagen… das sieht alles so klein aus.

Um zwei Uhr nachmittags kommen wir an, am Haus von Céciles Eltern. Sie wird heute Jean-Baptiste (JB) heiraten, den sie schon aus der Schule kennt. Ich kenne die beiden aus der Uni – mit Cécile habe ich meine Master I und II und Paris absolviert.

Der Marathon beginnt..Wir ziehen uns flugs um, verpassen trotzdem die Zeremonie im Rathaus und düsen in die Kirche. Schließlich traben wir mit den Hunderten anderer Gäste wieder aus dem Gemäuer, erleben Photosession Nummer eins, vor der Kirche: Cécile und JB alleine. Mit Trauzeugen. Mit Eltern. Mit Tanten und Onkel. Mit Omis und Opis. Mit Cousins und Cousinen. Mit Freunden und Freundinnen (unser großer Moment!). Dann kommt Photosession Nummer zwei – vor dem Auto (ein hellblauer Oldtimer – Asche über mein Weder-Auto-Kenner-Noch-Hingucker-Haupt!).
Weiter gehts zum „Salle des Fêtes“, für einen Zwischensnack. Doch vorher: Photosession Nummer drei, vor dem Salle des Fêtes. Schließlich dürfen wir rein, zu Speis und Trank, sitzen zwei Stunden später halb liegend (alle, auch die anderen Gäste) auf Stühlen verteilt, dem weiteren Programm harrend – der Sekt hat uns dahin gerafft.

Die lange ZielgeradeGegen sieben geht es weiter zu Station drei (eigentlich Station vier, aber die erste haben wir ja verpasst): dem Manoir, einem Herrensitz in einem Weiler nicht weit von Dieppe (und wenn ich sage Weiler, dann meine ich Weiler – geschätzte drei Häuser in fünf Kilometern Umgebung!).

Dort: Photosession Nummer vier, vor dem Manoir.

Schließlich: Essen. Voller Freude verteilen sich die Gäste in dem schönen Herrenhaus, setzen sich auf die Plätze mit ihren Namenssteinen (die hat Cécile vier Monate lang in mühsamer Kleinstarbeit bemalt).

Es ist nun circa acht Uhr. Im Hintergrund läuft leise Musik, irgendeine lokale Country-Band. Marion und ich gucken uns an, würden beide am liebsten in unsere Betten fallen – so Hochzeiten sind doch anstrengend, denken wir uns nur.

Doch so schnell sollen wir unsere Kissen noch nicht sehen: Das Essen fängt gegen Viertel nach acht an, endet gegen eins! Zum Glück sitzen wir am Tisch mit den „Jeunes“, also den wenigen jungen Menschen im Raum. Der Anteil der Über-70-Jährigen sind geschätzte 30 Prozent. Weitere 60 Prozent bewegen sich zwischen 40 und 70 Jahre. Der Rest: wir.

Zum Glück sitzt da Valentin neben mir, der wohl frechste aller anwesenden Normannen – sehr sympathisch. Versicherungsverkäufer ist er (was zu seinem Mundwerk passt), wohnt in einem Appartment im Garten seiner Eltern. Urlaub ist ihm zu teuer, meint er, das Einzige, was ihm jetzt noch fehlt, sei eine Frau (macht Euch keine falschen Hoffnungen, dafür hab ich mich nicht freiwillig gemeldet :-)).
Trotzdem wird der Abend für Marion und mich zum Überlebenscamp: Mehrere Mal sehe ich, wie ihr Kopf fast im Fischragout landet, auch ich habe so meine Konditionsschwierigkeiten.

Doch dann: die Erlösung! Cécile und JB schwingen das Walzer-Tanzbein, in der Mitte des Tanzes holen sie Mama und Papa auf die Piste. Wir denken uns, schön, dann können wir ja gleich schlafen gehen…

Die Mühen werden belohntAber dann passiert es, das Unverhoffte: Mit einem Schlag schwingen sich sämtliche Omis und Opis aufs Parkett, rocken zu 60er-Jahre-Musik, dass sich die Balken biegen! Weiter gehts mit den 70ern, stehts im Partnerstil. Da beuge ich mich zu Marion rüber und meine: „Ich weiß, was hier das Dorf-Hobby ist…Tanzen! Die machen alle nen Tanzkurs hier!“ Marion lacht kurz auf, nickt zustimmend mit dem Kopf. Valentin wird mir später meine Hypothese bestätigen.
Gerne würden Marion und ich jetzt mitrocken, trauen uns aber nicht: Mein letzter Tanzkurs ist knapp zehn Jahre her, Marions mindestens fünf. Doch der DJ kommt uns entgegen: Die 70er Jahre lässt er bald hinter sich, bei den Achtzigern steigen wir ein, ziehen die anderen Jeunes auf die Tanzfläche – Partnertanz ist hier nicht mehr nötig. Noch immer sind Omi und Opi mit dabei, durch die Generationen hindurch wird gewackelt.

Drei Stunden lang geben wir alles und tanzen Ringelreihe. Mit Valentin juckele ich zu „Cotton Eye Joe“ durch Arm-Alleen (wobei sich die Pärchen die Hände geben, die anderen Pärchen untendrunter durchtanzen) – vorwärts, rückwärts, auf einem Bein hüpfend. Kurze Zeit später liege ich zu einem „Slow“ in Valentins Armen, an uns geht der DJ vorbei, singt schmalzig ins Mikrophon.

Um vier Uhr schließlich sind auch die letzten Omis, Opis, Papas, Mamas, Tanten, Onkel, Cousinen, Cousins den Heimweg angetreten. Mit den anderen Jeunes machen wir es uns gemütlich im Schlafsaal über dem Tanzsaal, ich denke mir nur: „Jaja, die Normannen, wer hätte das gedacht…“ und entschwebe in tanzende Traumwelten.

weissercappuccino

meine kleine Kaffeewelt …

Der Hochzeit zweier Normannen…