…habe ich seit Mittwoch angetreten – und werde ihn wohl noch einige Tage weiterführen müssen, so streitfreudig sind die französischen Bahnler. Dass tatsächlich kaum Métros und Busse in Paris fahren, habe ich nämlich spätestens gestern feststellen dürfen.
„Gar kein Problem“, meine ich zu Romy. „Dann gehe ich heute Abend halt erst auf Alix‘ Geburtstag und komme danach zu Deiner Einweihungsparty.“ Es ist Samstag Nachmittag, wir sind auf dem Rückweg von den Champs-Élysées in Richtung Pariser Osten. Zum ersten Mal nehme ich seit dem Streikanfang am Mittwoch die Metro, bis jetzt habe ich immer alles zu Fuß erlaufen. Als wir die Métrotreppe hinunterlaufen, will ich gerade meine Einzelfahrkarte zücken, da stelle ich fest, dass alle Türen offen stehen und die Drehkreuze ohne Strom sind. „Ja, die Métro ist im Moment umsonst…“ meint Romy grinsend zu mir.
Und freudig hüpfe ich mit ihr durch das Drehkreuz zum Bahnsteig. Sofort gedämpft wird meine Freude, als ich die brechend volle Ubahn sehe, die gerade ächzend weiterfährt. Wir gucken uns stöhnend an, stehen aber fleißig Schlange, um bei der nächsten Bahn brav Sardine spielen zu dürfen. So quetschen wir uns mit in den Waggon, die Türen gehen gerade noch hinter uns zu.
Drei Stationen weiter schwimme ich mit dem Strom aus dem U-Bahn-Wagen heraus und steuere auf den Bahngleis der Linie 7 zu. Völlig erleichtert stelle ich dort fest, dass nur einige wenige zukünftige Fahrgäste mit mir warten (und nicht wie vorher halb Paris) und lasse mich zufrieden auf einen der Sitze am Rand sinken. Da kann ich aber auch erstmal sitzenbleiben, eine halbe Stunde später ist immer noch kein Zug vorbeigekommen. Ich bin inzwischen leicht weggenickt, wie aus Fieberträumen zucke ich zwischendurch kurz hoch, denke, ein Zug nähere sich. Auch andere sind dieser Illusion anheim gefallen, müssen jedoch mit mir feststellen, dass es eben Illusion und keine Realität ist. Nach 45 Minuten schließlich kommt eine Bahn, wir quetschen uns gemeinsam hinein (Übung darin haben die meisten ja nun wahrscheinlich) und ich juckele gen Heimat.
Anderthalb Stunden nach Antritt meiner Heimreise habe ich die weiteren 7 Stationen hinter mich gebracht und bin zu Hause angekommen. Da kann ich aber auch schon fast wieder meine Sachen packen, warten doch zwei Parties auf mich an diesem Abend. So füge ich mich meinem Schicksal und düse eine halbe Stunde später frohen Mutes wieder zurück in Richtung Métrostation. „En raison de mouvements sociaux, le trafic sur la ligne 7 est nul.“ (Wegen Streiks fährt die U-Bahn 7 nicht.) tönt es da aus dem Lautsprecher. Ich mache auf dem Absatz kehrt und gemeinsam mit einem anderen, nun hoffnungslosen Mädel erklimme ich die Treppen in Richtung Ausgang. Und während wir uns über alternative Busverbindungen unterhalten, quietscht es plötzlich hinter uns… Wir halten kurz inne und stürzen hoffnungsfroh die Treppe wieder hinunter: Wie ein Geisterzug (denn fast ohne Passagiere) kommt da unsere heißersehnte 7 angefahren. „Tja“, meint die kleine Französin neben mir. „Die Leute sind halt so entmutigt, dass sie gar nicht erst warten. Die wenigen Züge, die fahren, sind dann meist fast leer.“ Ich grinse sie an, muss an meinen Sardinennachmittag denken und meine: „Naja, jedenfalls die meisten.“
Drei Stunden später habe ich die Métro hinter mir gelassen, genauso wie die erste meiner zwei Parties und bin auf dem Weg zur zweiten. Unglücklicherweise muss ich nun von Maubert-Mutualité nach Gambetta, was zunächst auf der Karte etwas zu weit zum Laufen scheint. Kein Problem, denke ich mir, und mache mich auf den Weg zu Bastille, wo ich bestimmt eine Metro finden werde…
„En raison de mouvement sociaux“, tönt es auf dem Bahnsteig wieder aus dem Lautsprecher, „le trafic sur la ligne 5 s’est terminé.“ Nun ist also Feierabend für heute und halb verzweifelt trabe ich aus der Métro zur nächsten Bushaltestelle. Ein Bus wartet da gerade auf Fahrgäste und auf meine Frage, ob denn noch Busse zu Gambetta fahren würden, meint der Busfahrer glatt: „Nee! Busse fahren heute nicht mehr, ist doch Streik! Oder ich weiß von nix…“
Ratlos stehe ich inmitten von verzweifelten Möchtegern-Fahrgästen, die alle nach einem Ausweg suchen und beschließe: so weit kann das ja nicht sein bis zu Romy, das schaffe ich zu Fuß! Aber schon auf der Hälfte der Rue de la Roquette sind meine Hände völlig eingefroren und ich spüre meine Erkältung so richtig ausbrechen. Kurz davor, umzudrehen und doch das nächste Taxi nach Hause zu nehmen bin ich, als direkt vor mir der Bus in Richtung Gambetta anhält.
Wieder zwei Stunden später – es ist inzwischen Viertel nach drei Uhr morgens – beschließe ich, den Heimweg anzutreten. Den Nachtbus, der 500 Meter von Romys Haustüre entfernt hält, verpasse ich gerade, der nächste Bus kommt erst in 35 Minuten. Ich spüre die Minus-Grade, denke an meine aufkommende Erkältung und marschiere los. Zwei Busstationen weiter unten ist der Bus immer noch 25 Minuten entfernt. Drei eingemummte Gestalten warten da fröstelnd auf der Bank, scheinen auch gerade von einer Party zu kommen. „Wo wollt Ihr denn hin?“ frage ich die Jungs in meinem Alter. „Wir nehmen den Bus nach Châtelet…“, antwortet einer von ihnen. „Und danach?“ frage ich und füge hinzu: „Wenn Ihr zu Port Royal wollt, könnten wir uns ein Taxi teilen.“ Und wie von der Tarantel gestochen springt mein Gesprächspartner auf und ruft: „Au Ja, ich bin dabei, Super-Idee!“
Einige Minuten später sitzen wir im Warmen, die drei Mumien haben auf der Rückbank Platz genommen, ich sitze vorne. So juckeln wir zu leiser Popmusik dahin, an der Bastille vorbei, in Richtung Gare d’Austerlitz. An der Ecke lassen wir kurz die drei Jungs aus dem Auto, ich fahre noch zwei Straßen weiter. „Wie, und Sie sind ganz alleine auf die Party gegangen?“ fragt mich der Taxifahrer in den 30ern. „Öh“, meine ich. „Ja, klar, ich kannte doch ein, zwei Leute da…“ „Naja, aber haben Sie denn da keinen jungen Mann gefunden?“ Verwirrt gucke ich ihn an und antworte: „Nö. Aber das muss man ja nun auch nicht…“ Er lässt sich nicht stoppen: „Und zuhause, wartet da nicht jemand auf Sie?“ Leicht nervös meine ich: „Nein. Müssen Sie denn heute Abend lange arbeiten?“ versuche ich abzulenken. „Das kann ich selber entscheiden, aber ich glaub nicht, hab irgendwie keinen Bock…“ und er wirft mit einen vielsagenden Seitenblick zu. Da sehe ich meine Straßenecke und rufe erleichtert: „Oh, hier können sie mich rauslassen!“ Mein Taxifahrer hält an, ich zähle mein Geld und stelle fest, es fehlt ein Euro. „Ich muss nur schnell über die Straße Geld abheben“, sage ich und zeige auf meine Bank. „Aber nein, machen sie sich keine Umstände“, meint mein Fahrer und sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt… „Oh, das ist aber nett“, sage ich, grinse schief und hüpfe aus dem Auto.
Meine Güte, denke ich, es wird wirklich Zeit, dass dieser Streik ein Ende nimmt…
L.