…dachte neulich sicher nicht nur ich. Nein, auch allen anderen Anwesenden – Prüfern, Beisitzern und studentischen Zuguckern – ging dieser Gedanke bei meiner Abschlussprüfung durch den Kopf, ich hab’s genau gesehen!
(Sorry, den Artikel konnte ich vorher nicht hier posten, da mein Blog gestreikt hat – hier also praktisch nur der Nachtrag für diejenigen, die ihn noch nicht auf Café au Lait gelesen haben…)
Mit zitternden Knien erklimme ich die Stufen zum zweiten Stockwerk, in dem mein Prüfer auf mich wartet. Irgendein aktuelles Thema kommt heute dran und dazu soll ich spontan alle möglichen volkswirtschaftlichen Theorien aus dem Hut zaubern.
Immer nervöser biege ich in den Prüfungs-Flur ein, sehe schon von Weitem drei Gestalten an der Wand lehnen. „Naja, ich hab einfach alle Fächer wiederholt und viel Zeitung gelesen.“ erzählt das einzige Mädel unter ihnen. Ganz adrett steht sie da in ihrem Kostümchen, gegenüber von den zwei Jungs in Turnschuhen, Jeans und Hemdchen.
Muss man so aussehen zur mündlichen Prüfung? frage ich mich still, nachdem ich den dreien hallo gesagt habe. Leicht verunsichert schaue ich auf meine Blue Jeans, die Sneakers und das knallrote Hemd, das ich anhabe. Eigentlich wollte ich heute Absatzschuhe anziehen, dazu eine weiße Bluse. Die Schuhe hatten jedoch schon vor zwei Tagen für 2eurogroße Blutblasen an meinen Fersen gesorgt. Und das Hemd war heute Morgen wie vom Erdboden verschluckt gewesen. So hatte ich mich notgedrungen für Jeans und Turnschuhe entschieden, hatte mir gedacht, Punkte würden sie mir dafür schon nicht abziehen…
Falsch gedacht, scheint alles um mich herum zu antworten: Zwei Türen weiter stolpert Stöckelpüppchen Nummer zwei auf den Flur, gefolgt von einem Assistenten. Sie steuert direkt auf die Tür vor uns zu, hinter der die Professorin samt Zweitprüfer auf ihre Opfer wartet.
Als das Mädel gerade in der Tür verschwunden ist, erscheint ein zweiter Assistent am Ende des Flures und ruft: „Ach hallo, was machst Du denn hier – haste Mündliche?“ Einer der zwei Jünglinge antwortet: „Neenee, ich guck nur zu – in dem Aufzug würde ich doch nicht zur Mündlichen gehen…“ Ich schaue verzweifelt auf seinen meinem doch so ähnlichen Kleidungsstil. „Ja, ich wollte auch grade schon sagen…“ legt der Assistent am Ende des Ganges seinen Finger in meine schon klaffende Wunde.
Und wie um mir den Todestoß zu versetzen, fragt mich in dem Moment einer der beiden Jungs vor mir: „Bei wem guckst du denn heute zu?“ Ich antworte: „Ööh, ich hab selber Mündliche…“ Und beide starren mit halb-offenen Mündern an mir runter, sagen nur leise: „Achso…“
Fünf Minuten später kommt mein Henker-Assistent mich schließlich holen und bringt mich zum Prüfungs-Vorbereitungsraum. Ohne mir wirklich Heilung von den erlittenen Dolchstoßen zu erhoffen, sage ich entschuldigend: „Ööhh, ich komme ja von weit her und hatte nicht so viele Anziehsachen dabei, meinen sie denn, dass ist seeehr schlimm… wenn ich so zur Prüfung gehe…?“ Und ohne meine nach Hilfe schreienden Augen zu erhören, antwortet der Prüfer: „Ich weiß auch nicht, nach welchen Kriterien die Professorin bewertet.“
Völlig demotiviert starre ich daraufhin auf das Thema, das der Assistent mir in den Hand drückt: Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und was das mit dem gerade entschiedenen Verfassungsvertrag zu tun hat. Mit dem Verfassungsvertrag kenne ich mich wohl mehr oder weniger aus, welche Theorien ich dazu nennen könnte, will mir jedoch nicht in den Sinn. Stumpf starre ich auf das weiße Blatt vor mir, schreibe schließlich irgendetwas von Phillips-Kurve und optimalen Währungsgebieten auf meinen Zettel. An die Einzelheiten der Theorien kann ich mich jedoch nicht erinnern. Das Einzige, was ich im Detail hinbekomme, ist die Gliederung. Aber was ist schon eine Gliederung ohne Inhalt, sage ich mir…
30 Minuten später schließlich trotte ich in den Prüfungsraum. Die Professorin steht dynamisch wie immer in der Mitte des Saales, streckt mir strahlend eine Hand entgegen. Der Zweitprüfer ist weniger dynamisch, schüttelt mir zwar die Hand, verschränkt dann jedoch sofort wieder die Arme vor der Brust. Gegenüber von mir lassen sich zwei Zuschauer nieder – die Jungs von eben sind es nicht.
Ich lege also los mit meinem Vortrag, verheddere mich ziemlich schnell in meinen Theorien, denke nur, das ist die längste mündliche Prüfung meines Lebens. Die Professorin bleibt während der 45 Minuten bei ihrem Lächeln, der Zweikorrektor verschränkt die Arme immer mehr, runzelt die Stirn, packt sich an den Kopf. „Ich merke doch selbst, dass ich nur Müll erzähle!“ will ich ihn anschreien, konzentriere mich jedoch weiter auf meine nicht ganz klar erklärten Theorien. Schließlich ist die Prüfung vorbei, ich stolpere aus der Tür, lasse mich auf den einzigen Stuhl im Flur sinken. Die zwei Zuschauer sind mit raus gekommen. „Es war doch ganz okay…“ meinen sie beruhigend, als ich ein paar Krokodilstränchen vergieße. „Nur am Anfang warst du etwas nervös, aber später halt nicht mehr…“
Bevor ich alles geben kann bei meiner Heulattacke, öffnet sich die Tür wieder, meine Professorin steckt den Kopf heraus und meint: „Frau Louis, wir wären dann so weit.“ Ich wische die Tränen weg, atme tief durch und gehe festen Schrittes zurück in den Raum.
„Also, so ein paar Theorien sitzen noch nicht so ganz…“ sagt die dynamische Frau mir gegenüber. Ich nicke still, schaue wie gebannt auf die dick umkreiste 4,0 auf ihrem Blatt. Innerlich bereite ich mich darauf vor, in Ohnmacht zu fallen. Doch die Professorin fährt fort „Aber ansonsten finden wir, sie haben gute Grundkenntnisse – sie bekommen von uns eine 2,3.“ Verwirrt schaue ich sie an, frage mich, wen zum Teufel sie da bewerten – ich jedenfalls kann es nicht sein. Dann sage ich verdattert: „Ehrlich? Das ist ja toll!“ und hänge einen Redeschwall dran, dass es mir ja leid tut, ich irgendwie verwirrt war etc. Das alles will Frau Dynamik jedoch nicht hören, drückt mir kurz die Hand, gratuliert mir zum abgeschlossenen Studium und wünscht mir einen schönen Tag. So vor die Tür befördert, kann ich mein Glück noch immer nicht fassen und denke mir nur: „Ja, das ist wirklich ein schöner Tag!“
L.