Eine Nacht des Friedens, der Freude und des Eierkuchens…

…war Samstag für Marion, Anupama und mich. So wurde die Nuit Blanche zur Nuit Bleu-Blanc-Rouge und schließlich zur Nuit Noire…

Seit 2002 gibt es in Paris die Nuit Blanche (schlaflose Nacht), in der einmal pro Jahr die ganze Nacht über Museen geöffnet haben und Künstler auf den Straßen ausstellen. Angesteckt von dem Pariser Saturday Night Fever wurden inzwischen Brüssel, Rom, Madrid und Riga. Dieses Jahr fiel der Termin zusammen mit dem Viertelfinale der Rugby-Weltmeisterschaft.

Fast ganz Frankreich fieberte in den Kneipen mit den Bleus mit, hoffte fest auf einen Sieg der Franzosen gegen die neuseeländischen All Blacks. Wir nutzen die Ruhe vor dem Sturm und klapperten schnell einige Highlights der Künstlernacht ab – angefangen mit dem Pavillon de l’Arsénal. Jede halbe Stunde gab in dem Architekturmuseum in der Nähe der Bastille eine andere Künstlergruppe seine Performance zum Besten.

cimg1323_2.bmpFür uns rechtzeitig präsentierten „Alexandco et Guilhem de la Villette“ ihr kulinarisches Design: etwa zehn Personen mit Augenklappen standen in dem kleinen Raum in der Mitte des Museums, jeder mit durchsichtigen Spitztüten an Arm und Bauch. Die kulinarischen Genüsse darin sollten bei sanfter Hintergrund-Musik Besucher an sich selbst und die Künstler verfüttern.

Und während ich Kulinar-Banause es schaffte, jeglichen Verzehr der seltsam anmaßenden Genüsse zu vermeiden, hatte Marion weniger Glück: ehe sie sich versah, füllte der Ober-Künstler auch schon Orangenblütensaft in ihren Mund, den sie denn auch tapfer vertilgte…

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Frisch gestärkt hüpften wir zehn Minuten später weiter in Richtung Marais, zur Église Saint Paul. Eine Musikspektakel der besonderen Art versprach ein junger Mann auf dem Platz vor der Kirche. Voller Freude standen wir 15 Minuten Schlange, strömten mit der Menge hinein. Von Musik war zunächst nichts zu hören, woraufhin wir uns geduldig auf den Holzstühlen in der Kirchenmitte niederließen. In Form eines Fragezeichens hingen über uns acht große Lichtballons – für uns waren sie ganz klar mit der Frage assoziiert: „Wann fängt die Musik an?“.

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Einer Meinung mit uns schien jedoch keiner der anderen Besucher: sie fotografierten die Leuchtkugeln, riefen begeistert „Qu’est-ce que c’est beau!“ (Oh, wie schön) und „C’est génial!“ – so, als ob es gar nicht um Musik ginge. Wild entschlossen, Musiker oder Boxen zu finden, trabte Anupama schließlich in den vorderen Teil der Kirche. Während Marion und ich immer noch gespannt auf die ersten Töne warteten, kam Anupama mit hängenden Schultern erfolglos von ihrer Suche zurück. Da schließlich entdeckten wir die Flyer auf den Tischen – und verloren die Hoffnung aufs Recht Behalten: die Fragen der Menschen an Gott sollte das Fragezeichen symbolisieren, von Musik war keine Rede. Verwirrt taperten wir hinaus aus der Kirche, entdeckten den Geiger auf dem Platz davor und – der Groschen fiel.

Während sich bei uns die Neuronen verbanden, hatte sich die Ruhe in einen Sturm verwandelt, Frankreich hatte überraschenderweise gegen Neuseeland gewonnen. Ganz Paris schien zu jubeln: „On a gagnéééé…“ (Wir haben gewonnen) und „Qui ne chante pas, n’est pas français..“ (Wer nicht singt, ist kein Franzose). Autos hupten, wildfremde Menschen lagen sich in den Armen, Menschen schwangen Frankreichfahnen…

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Fahnenschwenker und Rugby-Jubelnde auf offener Straße

Weiter ging’s in Richtung Marais, wo uns plötzlich ein wild tanzender Siegeszug mit Trommeln den Weg versperrte. Angesteckt von dem Gefeiere tanzten wir ohne den Zug gen Jardin des Tuileries. Auf dem Weg dorthin trafen wir immer wieder Menschen, die den neuseeländischen Haka-Tanz nachmachten, uns die Zungen rausstreckten und wie wild brüllten – so dass auch wir schließlich ins Steinzeitalter zurückfielen und mit wildem Grunzen antworteten…
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Zwei Französken machen den Haka zu ihrem Siegestanz.

Doch auch Schattenseiten hatte das ausgelassene Feiern. Und das wurde uns schlagartig klar, als wir in das traurige Gesicht des Inhabers dieses ehemaligen Motorrads schauten:

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Wie so oft hatte das wilde Feiern die Zerstörungswut betrunkener Fans hervorgerufen. Bei näherem Hinschauen auf das Treiben bemerkte ich nun zwischen den Feiernden kleine, angetrunkene Franzosen, die sich gegenseitig anfauchten. Fahrradfahrer stritten sich mit Fußgängern, Autofahrer regten sich über den noch wilder als sonst durcheinander gehenden Verkehr auf. Der traurige Höhepunkt des Abends widerfuhr schließlich Marion, der plötzlich ihr Porte-Monnaie fehlte. Wir hofften, sie hätte Letzteres verloren anstatt, dass es ihr jemand geklaut hätte. Und so begannen wir unseren Parcours wieder von Anfang. Jede einzelne Station unserer schlaflosen Nacht suchten wir nach dem Porte-Monnaie ab, fanden es jedoch nicht. Und während Marion schließlich die Nummer der Polizei wählte, um den Diebstahl zu melden, hörten wir im Hintergrund immer noch wildes Hupen und Jubeln…

L.

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About Lisa (ich selbst)

Huhu! Ich bin Lisa. Seit 2005 wohne ich nun im schönen, kleinen Paris. Schön ist's hier, nette Leute gibt's und viele lustige Dinge passieren. Aber - lest doch einfach selbst... L.