…war die Randonnée de Roller am Wochenende – sieht man einmal ab von den singenden und tanzenden Holländern, den Wasser verspritzenden Deutsche und den freundlichen Engländern.
Es ist Freitag Abend, zehn Uhr. Die etwa 600 Rollerblader um mich rum setzen sich langsam in Bewegung. Noch sind wir am Bahnhof Montparnasse, bald jedoch werden wir den Norden von Paris erobern – auf Inlineskates, mit Rollerblade-Ordnern und Rollerblade-Polizisten. Die fahren imner ein Stückerl voraus, halten Autos und Fußgänger von Straßen fern, damit wir hinterhersausen können.
Ich bin wie so oft mit meinem MP3-Player beschäftigt, von dem gerade noch so viel übrig ist, dass er die Batterie nicht verliert (sämtliche Schutzhüllen hab ich schon bei der Randonnée verloren). Als ich ihn endlich in Gang geschmissen und ein passables Lied gefunden habe, konzentriere ich mich wieder auf die Skatenight. Da sehe ich vor mir grünes Licht. „Raoul!“ schreie ich und Monsieur La Lumière wird langsamer, wartet, dass ich aufhole. Raoul ist ein kleiner Martiniquaner, immer strahlend – sowohl im Gesicht, als auch an den Schnüren, die er an Hals, T-Shirt, Hose und Blades befestigt hat, und die grün leuchten.
Neben ihm sehe ich Eric und Joël – noch zwei der üblichen Verdächtigen. Die treffe ich normalerweise immer erst zu Ende der Randonnée de Roller – kommen sie doch meist zu spät und fahren dann ganz hinten mit. Hinten nämlich fahren nicht nur normale Rollerblader, sondern auch Polizisten und Ordner. Und die Ordner „treiben einen immer so schön an“, meinen Erik und Joël. „Jaja“, meine ich da nur und erinnere mich an die Randonnée von vergangener Woche. Da hatte ich mich ausnahmsweise den drei Pappenheimern hinten angeschlossen und war in ein Gespräch mit Raoul vertieft. Als wir den Place de la République überquerten, stürzten sich die Geier schließlich auf uns und schrien „Allez! On avance là!“. Widerwillig holten wir mit dem Rest des Rattenschwanzes der Rando auf und dachten, damit wär’s gut gewesen. Kaum kam die Rando jedoch zum Halt, stellte sich einer der sympathischen Ordner neben mich und schrie neben meinem linken Ohr: „Les Randonneurs en difficultés, remontez la rando!“ (Skater mit Schwierigkeiten bitte weiter vorne mitfahren!) Verwirrt guckte ich ihn an, fragte erst mich still und ihn dann laut, ob er wohl mich meine. Daraufhin meinte er netterweise: „Je ne vous ai pas sentie très à l’aise tout à l’heure…“ und grinste mich an (So richtig in ihrem Element waren sie gerade ja wohl nicht…). Verdutzt und beleidig murmelte ich nur, man müsse sowas ja nicht gleich der ganzen Rando erzählen und rollte davon…
Raoul, Eric und Joël sehen das jedoch wie gesagt anders – und eh ich mich versehen kann, haben sie sich auch schon wieder zurückfallen lassen und ich kann sie nicht mehr sehen. Eine Zeit lang rolle ich so alleine im Strom mit, tanze dezent zu meiner Musik und betrachte zufrieden Paris bei Nacht. Dann komme ich auf einmal aus dem Takt, merke Störmusik und versuche, sie zu orten. Immer lauter wird die Musik und da sehe ich sie: ein Trupp hellblauer T-Shirts mit Helmen auf dem Kopf und einem Musik-Wagen in der Mitte (à la umfunktionierter Kinderwagen) kommt auf mich zu. Die Rando hat inzwischen mal wieder angehalten und auch die blauen T-Shirts kommen zum Stehen. Neugierig nähere ich mich den Fremdkörpern, bis ich deren Sprache als Niederländisch identifiziere: Laut singen sie zu mir unbekannten, da niederländischen, Partyliedern mit, veranstalten mitten in der sonst friedlichen Rando einen Gruppentanz. Einer von ihnen ist besonders begeistert, versucht umstehende Neugierige (ich bin zum Glück außer Reichweite) zum Mittanzen zu bringen – erfolgreich ist er damit nur bedingt. Zum leichten Kopfschaukeln und Grinsen bringt die Meute jedoch fast jeden der Zuschauer.
In dem Moment setzt sich die Rando wieder in Bewegung, ich lasse die Niederländskis hinter mir und rolle weiter vorne mit. „Take care of the cobbles!“ höre ich da rechts neben mir. Und eine „Instructor“-Frau (wie das T-Shirt mitteilt), also eine Skate-Lehrerin, zieht eine kleine Gruppe von Engländern hinter sich her. So schnell wie sie aufgetaucht sind, verschwinden sie jedoch wieder aus meinem Blickfeld und ich konzentriere mich weiter auf meine Musik.
Viele Pausen und Gespräche später (mit anderen Alteingesessenen wie Nam aus Vietnam oder auch Jérôme, dem kleinen Kung Fu-Lehrer auf Rollschuhen) kommen wir schließlich zur großen Pause. An einem Platz in der Nähe von Bercy werden alle Inline- und Rollschuh-Begeisterten von der Straße gelenkt, lassen sich erleichtert auf eine der Steinmauern oder einfach auf den Boden gleiten. Ich folge dem Licht, finde Raoul und die anderen und gucke ihnen eine Weile beim „Sliden“ zu (also dabei, wie sie eine Ski-Bremsung auf Rollen vollziehen). Dann schreit mein Körper Durst! und ich bewege mich in Richtung der Trinkwasserhähne am Anfang des Platzes.
„Lass den Hahn ruhig auf!“ höre ich da jemanden rufen und gucke mich überrascht um: inmitten einer deutschen Kolonie in der Randonnée bin ich gelandet, alle im roten T-Shirt mit deutschen Namen wie Barbara drauf. Brav stelle ich mich in der Reihe an, bleibe zunächst incognito als Deutsche und Deutschen. Dann jedoch komme ich an die Reihe und ehe ich mich versehe, will sich doch glatt eines von den roten T-Shirts vordrängeln. Das ist der Moment, in dem ich meine Tarnung auffliege lasse und nöle: „Ey, nich vordrängeln!“ und überrascht guckt mich der Drängler an. Ich nutze den Moment und schiebe schnell meine Flasche unter den Wasserhahn. Als sie voll ist, ziehe ich die Flasche zurück und stöpsele sie zufrieden zu. Doch Rache ist süß: der Drängler schiebt seine Trinkflasche unter den Hahn, hat jedoch den Wasserdruck unterschätzt. Anstatt in die Flasche spritzt das Wasser nach allen Seiten bzw. zu meiner Seite raus. Eine halbe Minute später stehe ich da wie ein halb-begossener Pudel, pruste leise vor mich hin, höre die roten T-Shirts um mich herum kichern. „Frechheit“, murmel ich nur, kann mir aber ein Grinsen nicht verkneifen. Meinen Kollegen kurz zuzwinkernd rolle ich zurück zu meinen anderen Kollegen, beende gemeinsam mit jenen die Pause.
Als die Massen weiterrollen, höre ich dieselbe weibliche Stimme wie vorher rufen „Keep behind me!“ und der Trupp an Engländern rollt rechts an mir vorbei, kommt dann zum Stehen. Auch ich bleibe stehen, grinse zu ihnen rüber. Als sie zurückgrinsen, frage ich schnell: „Are you English?“ Und freundlich antwortet mir eine kleine Engländerin ganz in schwarz. Ja, sie seien aus London und übers Wochenende hier. Dann übernimmt ein zwinkernder, zweiter Instructor die Konversation und erklärt, dass er zusammen mit einer anderen Skate-Schule diese Tour organisiert habe. Ob ihm die Rando gefalle, frage ich da. „Oh yeah! The ground is so smooooth!“ antwortet er begeistert und ich denke nur an die zahllosen Kopfsteinpflaster in Paris. In London jedoch, meint mein neuer Freund Mark, wären die Straßen viel unebener und es wäre total anstrengend, zu skaten. Trotzdem gäbe es mindestens 2 Skate-Touren pro Woche das ganze Jahr über.
Schon öfter seien die Londoner nach Paris gekommen, erzählt Mark weiter und meist blieben sie übers Wochenende. „Tomorrow, we’re gonna skate through Paris – you wanna come?“ Und eh mein Kopf mitkommt, sagt mein Mund schon „Yeah, sure!“ und wir verabreden uns für 13h am nächsten Tag zum Sight-Seeing on Skates.
Kurze Zeit später verliere ich den Trupp aus den Augen. Immer wieder sehe ich sie später nochmal aus der Masse auftauchen, sage kurz „Hello!“ und jeder düst wieder seines Weges. Um ein Uhr schließlich rollen wir ein in unserem Start- und Zielhafen, dem Platz vor dem Bahnhof Montparnasse. Leicht erschöpft ruhe ich mich auf unserem Lieblings-Geländer aus, meine üblichen Verdächtigen neben mir. Kurze Zeit später düse ich aber auch schon nach Hause – morgen ist schließlich ein neuer Tag, und der beginnt um 13h, auf Rollerblades…
L.