…bin ich am Wochenende geflogen – und habe mein kleines Paris gegen das weltoffene Oberprechtal im Schwarzwald eingetauscht.
Anlass war der 65ste Geburtstag meines Vaters und dafür wurde die gesamte Familie in den Schwarzwald verschifft, dem wir in meiner Jugend regelmäßige Besuche zu Ostern abgestattet haben. Eine direkte Verschiffung bedeutete jedoch dies nicht für mich, musste ich doch zunächst den ersten Flug Samstag Morgen nach Frankfurt nehmen, um dort in das Cabrio meines Bruders und seiner Angetrauten zu springen, die mich dann mit nach Freiburg nehmen würden.
Bereits die erste Etappe dieses langen Weges stellte sich als schier unüberwindbar heraus, musste ich doch um zehn vor fünf aufstehen (undenkbar für eine Langschläferin wie mich) und hatte es natürlich nicht vor halb zwei ins Bett geschafft. Grund dafür war unter anderem die Amerikaner-Party abends zuvor (Amerikaner im Sinne von Menschen, nicht von Gebäck), die mich außerdem mit einem unangenehmen Knoblauchgeruch versah. Laura, unsere Gastgeberin, war nämlich auf die glorreiche Idee gekommen, Baguette-Schnittchen mit Pilzen auf Garlic-Mayonnaise anzubieten – also auf Mayonnaise mit fast knoblauchzehengroßen Knoblauchstücken drin. Naiv wie ich war, griff ich auch zu, aß zwei dieser verhängnisvollen Schnittchen und dachte nur, so schlimm kann Knoblauchgeruch schon nicht sein – und wenn doch, hab ich wenigstens mehr Platz im Flugzeug. Nicht einkalkuliert hatte ich jedoch, dass Knoblauch (noch dazu in der Menge) mich nicht nur aus allen Poren angenehm duften lässt, sondern auch noch gerne meinen Magen verstimmt, so dass mich ein leichtes Übelkeitsgefühl den ganzen, nächsten Tag nicht verließ.
Morgens um zehn vor sechs stieg ich also in die Métro, freute mich über eine Nacht ohne Schlaf – die verbleibenden drei Stunden war ich jede halbe Stunde aus dem Schlaf wieder hochgeschreckt, aus Angst, den Flieger zu verpassen. Und mit Entzücken stellte ich fest, dass das leichte Ruckeln der Métro meinem Übelkeitsgefühl zuträglich war, sehnte mich nach nichts mehr, als dass diese Fahrt zum Flughafen Charles de Gaulle ewig dauern würde…
Last but not least strömte eine Station weiter genau in meinen Wagen durch genau die Tür, neben der ich saß, eine Horde jugendlicher Partymäuse, die gerade nicht den Tag begannen, sondern die Nacht beendeten. Umringt von diesen (Duft-) fahnentragenden, gutgelaunten Schreihälsen dachte ich also über meine Strategie nach, konnte mich nicht entscheiden zwischen: Attacke mit Knoblauchatem oder aber Rückzug. Und entschied mich schließlich für Letzteren – schätzte ich doch das Schadenspotential meines Killeratems höher ein als seine Abwehrwirkung und wollte meine hervorragende Verfassung nicht noch steigern durch Partymaus-Erbrochenes auf meinen Schuh (im besten Falle).
Ohne weitere Zwischenfälle jedoch brachte ich Fahrt und Einchecken hinter mich und stieg eine Stunde später erleichtert in die Kühltruhe von Flugzeug. Ich deckte mich mit Jacke, Pulli und Schal zu und entschlummerte 50 Minuten lang in weit entfernte Sphären. Gestört wurde diese engelsgleiche Ruhe neben den Rotorengeräuschen nur durch das konstant anhaltende Babygeschrei drei Reihen vor mir und die gelegentlichen Elefantennieser aus dem vorderen Teil des Flugzeugs…
In Frankfurt angekommen brachte ich erfolgreich die Gesichtskontrolle wegen des G8-Gipfels hinter mich (das Schengenabkommen ist diese Woche deswegen außer Kraft gesetzt und das bedeutet eine Ausweiskontrolle mehr als sonst) und zischte durch zur Gepäckaufnahme. Nach einem kurzen Chat mit dem indischen Herrn neben mir über seine erfolgreiche Bollywood-Filmindustrie und den Superstar Shahrukh Khan brachte ich auch diese Etappe erfolgreich hinter mich. Und voller Elan stand ich dann da, in der Empfangshalle des Frankfurter Flughafens, bereit, das Traumpaar der Familie an mein Herz zu schließen. Aber mein Knuddel-Verlangen blieb unbeantwortet, waren potentielle Opfer doch nur Unbekannte – Bruderherz war gerade erst in Marburg losgefahren, wie er mir per SMS mitteilte.
So entschied ich mich für deutsches Frühstück, kaufte Brezel und Tee und immer noch ganz verzückt über die 2 Euro 90, die ich dafür nur hatte zahlen müssen, machte ich es mir auf der nächsten Bank bequem. Und während ich so vor mich hinkaute, lief die ganze Welt an mir vorbei, sah ich Amerikaner, Engländer, Spanier, Australier und – Inder. Zum ersten Mal ein deutsches Auto schien diese zweite indische Familie meines Tages zu sehen, denn als der Familienvater den gelben, rechts neben mir in der Wartehalle aufgestellten, echt bayerischen Wagen erblickte, stürzte er voller Freude darauf zu, posierte sich davor und lächelte in die Kamera seines Sohnes. Der Enthusiasmus des Vaters steckte Mutter und Tochter mit an und so mutierte die Veranstaltung zum regelrechten Photoshooting.
Zwei Sessel zu meiner Linken ließ sich unterdessen ein Mitt-Sechziger mit einem Seufzen nieder, atmete kurz durch und zog dann aus einem seiner immensen Koffer eine 0,5l Bierdose. Nach kurzem Zischen der Bierdose zischte Monsieur (oder war es ein Mister?) sich sein Bier, verlieh seinem Wohlbehagen mit einem erneuten Seufzer Ausdruck. Aber was ist ein gutes Bier zum Frühstück ohne Heringssalat, dachte er sich da wohl und zog aus einem anderen seiner Koffer nacheinander Baguette, Butter, Marmelade und eben Heringssalat. Meine Brezel kauend schaute ich hin und her zwischen Photoshooting zu meiner Rechten und Picknick zu meiner Linken – und ward wunschlos glücklich.
Jäh den Tatort verlassen musste ich, als mein Bruder nun, eine Stunde später in FFM angekommen war und auf dem Parkplatz auf mich wartete. Und nach 20 weiteren Minuten erfolgloser Suche nach zwei rosa Gestalten in einem kleinen, dunkelblauen Cabrio fand ich sie schließlich, hüpfte in das zugige Hintere und los zischten wir.
Drei Sonnenbrände und Stunden später erreichten wir Freiburg, erfüllten unsere Mission, meinen Vater zum Geburtstag vielleicht mehr zu erschrecken als zu überraschen und gondelten schließlich weiter in das kleine Nest meiner Osterjugend. Und abends saß ich in meinem Zimmer mit dem endlich einmal echten, weichen Bett ohne Mitwohni, der durch mein Zimmer trabt. Ich schaute auf die Bibel, die unter dem Fernseher liegt, dessen Lautstärke man nicht verstellen kann. Ich hörte dem Bach zu, der unten vorbeirauschte und sah die Schafe, die auf dem gegenüberliegenden Hang grasten. Und ich dachte: Ist ja vielleicht auch kein schlechtes Leben, mal so ganz ohne Metropole…
L.