…machen wir Telefonmäuse gerade in unserem Callcenter durch. Kleine Firmen haben wir jetzt nämlich erstmal genug angerufen, seit einigen Tagen müssen wir die großen attackieren. Und obwohl kleine Firmen wie Bäckereien und Friseure oft keine Server hatten, waren die, die doch welche hatten, meist bereit, unseren Fragebogen zu beantworten.
Nun jedoch beißen wir uns die Zähne aus an Firmen mit 200 Angestellten und aufwärts. Server haben die genug, doch reden wollen sie meist nicht darüber – was dazu führt, dass das Team um mich herum (mich nicht ausgeschlossen) langsam aber sicher dem Wahnsinn verfällt.
Verena zum Beispiel, die kleine, sanftmütige Verena mit der netten Stimme knurrt auf einmal neben mir ins Telefon: „Du A…loch, und wenn Du mich noch so oft abweist, wir rufen wieder an, hehehe…“ Der Gesprächspartner hat zwar schon aufgelegt, Verena ist jedoch noch nicht zum Nächsten übergegangen, sondern trägt mit hämischem Grinsen einen Termin für in zwei Wochen in den Computer ein.
Einen Platz weiter sitzt Wolfgang. Wolfgang ist Veranstaltungskaufmann, also „Intermittent du Spectacle“, und seitdem die Generation Praktikum die meisten seiner Arbeitsmöglichkeiten zunichte gemacht hat, schlägt er sich durch, unter anderem mit Callcenter-Jobs. Wolfgang ist eigentlich eher der coole Typ, der die Stimmung aufheitert mit Geschichten wie der von den italienischen Chefs d’équipe (also unseren direkten Vorgesetzten), die einmal unser kleines Callcenter dominiert haben. Plötzlich wurden da nur noch blonde Frauen mit großer Oberweite eingestellt, und die Geschäftsleitung hat sich das alles seelenruhig mitangeguckt. BIS eine dieser blonden, vollbusigen Superfrauen Klage einreichte gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Da waren sie schlagartig alle weg, die italienischen Chefs d’équipe, und auch in das Team der Telefonmäuse kehrte wieder mehr Varietät ein.
Eine andere Geschichte Wolfgangs ist die von dem Geschäftsleiter, der ihn vor Jahren einmal so richtig zur Sau gemacht hatte am Telefon – vor allem auch ohne Grund, denn einen netteren Telefonmäuserich als Wolfgang gibt es nun wirklich nicht. Aber auch Mäuseriche können böse werden und, schwupps, schrieb Wolfgang die Nummer seinen sympathischen Gesprächspartners heraus und gab sie an alle seine 10 Telefonkollegen weiter. Im 2- bis 3-Minuten-Takt riefen die Mäuse dann den ganzen Tag bei dem Schreihals an, bis der schließlich nicht mehr ans Telefon ging. Mäuserache ist süß…
Von diesem Ausrutscher einmal abgesehen ist Wolfgang wie gesagt der ausgeglichenste Telefon-Mäuserich „wo gibt“. Doch selbst er kommt bei den ganzen Interview-Verweigerungen langsam an die Grenze des Wahnsinns, haut wie wild auf seine Tastatur ein und Verena muss in einem ihrer nicht von Rache durchtränkten Momenten dazwischen gehen, damit Wolfgang seinen Kopf nicht ununterbrochen gegen den Bildschirm donnert…
Noch ist das Ganze nicht pathologisch, lange werden die Männer in den weißen Westen jedoch nicht mehr auf sich warten lassen – auch ich ertappe mich zwischendurch dabei wie ich „Sau“ oder „A…loch“ in den Hörer zische und gerade noch darauf achten kann, dass am anderen Ende der Leitung keiner mehr dran ist…
Wie das enden soll, weiß keine Maus.
L.