Unhaltbare Zustände…

…herrschen in meiner kleinen Uni Sorbonne. Mein Prof ist deswegen heute auf die Barrikaden gegangen bzw. hat sie selbst errichtet…

Privatisation des entreprises dans les pays en transition (Privatisierung der Unternehmen in den Transitionsländern) heißt das Fach, in dem Monsieur Nivet uns unterrichtet und immerhin zwei bis fünf Studenten sind da jede Woche anwesend. Dass man da für annehmbare Unterrichtszustände sorgen muss, denkt die Sorbonne-Verwaltung jedoch anscheinend nicht.

So erreichte die Prekarität vergangene Woche einen traurigen Höhepunkt, als bei dreißig Grad die Überlebenschancen im Klassenraum ohne offenes Fenster gleich null wurden. Mit offenem Fenster stiegen sie jedoch nur leicht an – waren wir doch dem fast sicheren Lärmtod ausgesetzt. Unser schmuckes Universitätsgebäude im Bauhausstil steht nämlich passenderweise nahe des Place d’Italie, auf dem Boulevard de l’Hôpital gleich neben einem Krankenhaus. So frequentieren nicht nur etwa 30 Milliarden Autos täglich das nette, vierspurige Gässchen, nein, zusätzlich fährt alle drei Minuten ein Krankenwagen am Fenster vorbei. Durch die Hitze der Alternative des geschlossenen Fensters beraubt, verloren wir also ein schwer bestimmbaren und doch hohen Prozentsatz unserer Unterrichtszeit durch die häufigen Pausen, zu denen uns die vorbeifahrenden Krankenwagen zwangen.
Da das offene Fenster die Temperatur des Raumes nur leicht senkte, wagte Monsieur Nivet außerdem den Schritt, den altertümlichen Ventilator in Gang zu setzen. Dies erschwerte die Unterrichtsbedingungen, da sämtliche Blätter nun im Raum die Runde zu drehen begannen und wir mehr als alles Andere damit beschäftigt waren, sie daran zu hindern – unsere deshalb leicht verkrampfte Haltung wird sicherlich nicht ohne Folgeschäden bleiben…

Außerdem gab schließlich auch der Dritte und Letzte der mit Lösungsmitteln die Luft verpestenden Tafelmarker meines Profs den Geist auf, was zusätzlich zur Verringerung der Unterrichtszeit führte, als Herr Privatisierung auf der Suche nach Ersatz zum Sekretariat im ersten Stock stürzte, nur um fünf Minuten später frustriert zurückzukommen mit den Worten „Die haben zu!“.

So verloren wir noch einmal einen schwer einschätzbaren Teil unserer Unterrichtszeit dadurch, dass Monsieur alles zweimal schreiben musste, da unleserlich und dass ich den anderen alles vorlesen musste, da die trotzdem nichts erkannten (ich hatte noch den besten Lichtwinkel). Kurzum: unhaltbare Zustände herrschten da in der Sorbonne!

Diese Woche sorgte Monsieur vor, brachte also seinen eigenen Marker mit und auch sonst hatte sich die Situation erheblich gebessert: es herrschten weder 30 Grad draußen, noch waren wir also gezwungen, das Fenster aufzureißen oder den Ventilator anzuschalten.

Doch da kam sie, die Attacke: mitten in der Vorlesung öffnete sich die Tür, der Hausmeister steckte den Kopf zur Tür herein und fragte mit einem Blick auf die vollgeschriebene Tafel: „Brauchen Sie die?“ Leicht aufhüpfend schrie mein kleiner Prof „Ja klar!“ Und leicht eingeschüchtert ließ der Hausmeister die Tür wieder zufallen.

Verdattert guckte unser Prof uns an und meinte: „Ja, was denkt der denn, warum die sonst so vollgeschrieben ist?“ Sich in Sicherheit wähnend machte Nivet weiter mit den Effekten der Privatisierung auf die Rentabilität der Unternehmen – nur um fünf Minuten später wieder unterbrochen zu werden von einem Kopf, der zur Tür hereingesteckt wurde. Doch bevor dieser Kopf auch nur ein Wort sagen konnte, rief mein Prof auch schon: „Ja! Die Tafel, die brauch ich!“ Und schwupps verschwand der Kopf.

„Hier muss man sich ja richtig bedroht fühlen“, meinte daraufhin Nivet – und: „So, jetzt verbarrikadieren wir uns!“ Und während Karine und ich vor Lachen halb auf dem Boden lagen, schob unser sonst hochseriöser Prof in den 40ern den Overheadprojektor vor die Tür:

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Von weiteren Zwischenfällen blieb unser Kurs im Folgenden verschont (für Überlebende hätten wir auch wirklich nicht mehr garantieren können) und für nächste Woche versicherte uns Nivet: „Am 6. Mai sind ja Wahlen – danach wird alles anders!“

Und in der Hoffnung, nächste Woche den Kurssaal ausgerüstet mit Klimaanlage und Hightechtafel vorzufinden, packten wir unsere sieben Sachen und gingen.

L.

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About Lisa (ich selbst)

Huhu! Ich bin Lisa. Seit 2005 wohne ich nun im schönen, kleinen Paris. Schön ist's hier, nette Leute gibt's und viele lustige Dinge passieren. Aber - lest doch einfach selbst... L.