Ségolène ohne Lächeln…

…ist wie Käse ohne Baguette, durfte ganz Frankreich heute Abend feststellen. Zu verkrampfter Miene hatte Royal auch Grund – Sarkozy hat sie um fast 5 Prozentpunkten hinter sich gelassen in der ersten Runde der Präsidentenwahlen.Mittendrin wollten Marion und ich heute sein und dieses Mittendrin hofften wir bei der Universität Sciences Po(litiques) zu finden. Eine Wahlsendung von France Culture sollte da stattfinden, reingehen durften zunächst jedoch nur Sciences Po-Studenten, ich mit meinem Sorbonne-Studiausweis musste draußen bleiben.

Um den großen Moment der ersten Wahlschätzungen um 20.00 Uhr trotzdem nicht zu verpassen, entschieden wir uns für das Kaffee an der Ecke – wo die anderen Draußen-Gebliebenen das Geschehen auf zwei alten Fernsehern live mitverfolgen konnten. So stellten wir uns mangels Sitzplätze direkt vor einen der alten Bildschirme und spürten die Spannung förmlich steigen. Nicht nur die Spannung, sondern auch der Körperkontakt stieg in den letzten Minuten vor dem großen Moment, das Kaffee war zum Bersten voll.

Von links presst sich da eine Frau in den 60ern an mich, schiebt sich an mir vorbei, beugt sich über den Tisch vor uns und lässt sich von dem 18-Jährigen gegenüber eine Zigarette anstecken. „Das Wichtigste“, sagt sie, als sie wieder aufrecht steht, und guckt Marion und mich an. „Das Wichtigste ist, dass Ségo im zweiten Wahlgang genug Stimmen hinzusammelt.“ Was sich kurze Zeit später bestätigt, scheint nämlich jetzt schon für den Großteil der Wahlparty klar: Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal würden in die zweite Wahlrunde einziehen.

„Das Problem ist nur“, fährt Madame nach der Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses fort, „Das Problem ist: wo kriegt sie die Stimmen her?“ So hätte Sarko schon 30 %, wozu man im Prinzip schon die 11 % von Jean Marie Le Pen hinzuzählen könne, dem Kandidaten des Front National (rechts außen). Ségolène mit ihren gut 25 Prozentpunkten bräuchte deshalb François Bayrous Stimmen, die etwa 18 %, um überhaupt eine Chance gegen den populären Ex-Innenminister zu haben.

Ob wir an Sciences-Po wären, fragt die junge Dame kurze Zeit später. Das kann nur Marion mit Ja beantworten, was mich urplötzlich mysteriöserweise aus der Wahrnehmung der Madame löscht… Vor 20 Jahren habe sie selbst an Sciences-Po studiert, erzählt sie daraufhin Marion mit einem melancholischen Lächeln auf den Lippen. Und nun sei sie im Ruhestand, nach einem bewegten Leben in der Politik mit unter anderem Laurent Fabius und schließlich auch Sarkozy, als sie bei der Polizeipräfektur arbeitete. „Den mag ich gar nicht“, sagt sie Marion ins Ohr und stupst sie von der Seite an. „Total demagogisch ist der, und uns, uns hat er nie die Hand gegeben! Immer nur dem Präfekten selber!“

„Aber“, fährt der Ségolène-Fan fort, „Aber wahrscheinlich ist es jetzt eh zu spät – Ségolène hat einfach nicht genug Stimmen, so schafft sie das nie…“ und enttäuscht dreht sie uns den Rücken zu und stürzt aus dem Kaffee.

Leicht verdattert gucken Marion und ich uns an, verfolgen noch kurz den Polit-Talk auf den Bildschirmen und beschließen dann, es nochmal mit Sciences Po zu versuchen. Durchgelassen werden wir diesmal auch und steuern direkt auf den Garten im Hinterhof zu, wo zu unserer Linken schon das Buffet aufgebaut ist (die wussten wohl, dass wir kommen…). Bedienen darf man sich jedoch noch nicht und so steuern wir die Treppe hinunter, auf den Keller zu, wo France Culture seine Wahlshow veranstaltet. Draußen vor der Scheibe bleiben wir stehen und beobachten die Moderatoren und Science Po-Professoren, hören die Show über die Lautsprecher neben uns.

Da kehrt auf einmal Stille ein, die Radiomenschen schalten rüber zu France 2, wo Sarkozy erscheint unter großem Jubel seiner Anhänger. Als Erster der Kandidaten kommentiert er die Wahlergebnisse, spricht Ségolène seinen Respekt aus und hofft auf eine Ideen-Diskussion in den kommenden zwei Wochen. Mit allen Franzosen will er reden, sagt Sarko, mit Bauern, Arbeitern, mit denen, die morgens früh aufstehen, mit den Kranken… und spätestens als le petit Nicolas von seinem Traum von Frankreich als einer großen Familie spricht, ist auch auf dem Gesicht des Letzten der Moderatoren und Profs unten im Keller vor uns ein Grinsen zu entdecken. Um mich rum hör ich Aussagen wie „Ah, putain, il me gave…!“ (Ah, F…, der nervt) oder „C’est trop fort…“ (Das ist wirklich zu stark/ krass).
Auch Marion und ich stimmen in den Chorus ein, können ein herzhaftes Lachen wirklich nicht unterdrücken. Offiziell in Worte fasst das kurze Zeit später on air der Professor Alain Duhamel und kommentiert: „Alors, sur la fin, c’était effectivement peut-être un peu too much… “ (am Ende war das vielleicht wirklich ein bisschen übertrieben) und erntet zustimmendes Nicken von allen Seiten.

Das Stichwort ist das für die meisten Anwesenden und im Strom schwimmend strömen Marion und ich aufs Buffet zu, holen uns Schnittchen und Saft und pflanzen uns in den Garten, wieder neben Lautsprecher, die die Show übertragen. Die Pause dauert 15 Minuten, dann strömt die Menge zurück vom Buffet zur Show – François Bayrou kommentiert die Wahlergebnisse: Der Weg der Hoffnung sei nicht zu Ende, sagt der Drittplatzierte und dass Frankreich wieder ein Zentrum habe. Kurz und knapp spricht er im Gegensatz zu Nicolas, strahlt Zuversicht aus und gewinnt scheinbar mehr Herzen in Garten und Keller als zuvor der Erstplatzierte.

Wenig später beschließen Marion und ich, unsere persönliche Wahltour beim Hauptsitz von Ségolènes Parti Socialiste in der Rue de Solférino zu beenden. Über den Boulevard Saint Germain, vorbei an der Rue du Bac steuern wir darauf zu, treffen schon auf dem Weg junge Sozialisten mit Fahnen in der Hand und Stickern auf der Stirn. Les Jeunes pour Ségolène (Die Jungen für Ségolène) lesen wir oder Le Mouvement des Jeunes Socialistes (Die Bewegung der Jungen Sozialisten).

Angekommen am Siège ist die Party voll im Gange. Anders als Sarkozy hat Ségolène keine Anweisungen zur Zurückhaltung gegeben, zur gemäßigten Stimmung – und das merken wir: Vor uns ist eine Großleinwand errichtet, Menschen um uns herum pfeien, Fahnen werden geschwungen. Dann erscheint plötzlich Ségolène auf der Leinwand, was die gute zur Bombenstimmung werden lässt.

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Sie will ein neues Frankreich gründen, in dem jeder Erfolg haben kann, in dem menschliche über Börsenwerten stehen. Nicht wolle sie Angst schüren (Jubelschreie in der Rue de Solférino), sondern eine Gesellschaft gründen aufbauend auf der Familie, der Bildung.

Wie so oft ist Royal in weiß gekleidet – passend zu ihrem strahlenden Lächeln. Letzteres jedoch ist diesen Abend „crispé“, also leicht verkrampft. Die Anspannung merkt man ihr an, auch wenn ihre Fans alles tun, um sie moralisch zu unterstützen – denn der zweite Wahlgang n’est pas du tout gagné, er ist also alles andere als ein Kinderteller…

L.

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About Lisa (ich selbst)

Huhu! Ich bin Lisa. Seit 2005 wohne ich nun im schönen, kleinen Paris. Schön ist's hier, nette Leute gibt's und viele lustige Dinge passieren. Aber - lest doch einfach selbst... L.

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