Wahlfieber…

…ist seit Monaten in meiner Wahlheimat Frankreich. Vor zwei Wochen wurde offiziell der Endspurt eingeleitet und Medien müssen seitdem allen zwölf Kandidaten den gleichen Platz in ihrem Programm einräumen. Sonntag ist der erste Wahlgang und ruhig bleiben da weder Kandidaten noch Wähler…

Völlig erschöpft und frustriert schleppe ich mich nach einem erneuten, abgebrochenen Telefoninterview in den Pausenraum mit dem Kaffeeautomaten. Das Erste, was ich höre, als ich die Tür aufmache, ist das Wort Sarkozy. Am Mitarbeitertelefon sitzt einer meiner französischen Telefonkollegen und unterhält sich lautstark über die Präsidentenwahl. Die neuesten Umfrageergebnisse scheint ihm sein Gesprächspartner zu übermitteln, was Monsieur die Stirn runzeln lässt. Bevor ich jedoch die zusammenhanglosen Zahlen in meinem Kopf in eine sinnvolle Reihenfolge bringen kann, werde ich abgelenkt: Völlig konzentriert sitzt da ein anderer, kleiner Franzose und lauscht in seinen IPod rein. Zwischendurch stöhnt er kurz, schüttelt den Kopf und sagt: „Mais – il est vraiment nul!“ Wer da schlecht ist, erfahre ich, als Monsieur den Kopf hebt und erklärt, er höre gerade Bayrou zu, per Radio. Teilhaben lässt er mich da an seinem Radioprogramm, hält mir einen Kopfhörer hin. Ermutigt greife ich danach, erwische jedoch gerade die Partie, in der der Moderator spricht und Bayrou nicht zu hören ist.

So widme ich mich zunächst wieder der Kaffeemaschine, um mich zehn Sekunden später auf der Bank neben dem Radiomenschen niederzulassen und ihn nach seinem Wahlvorhaben zu fragen. „Je voterai pour une femme.“ Antwortet er leicht abweisend, sichtlich überrascht durch meine direkte Frage. Dass er für eine Frau stimmt, scheint ihn nicht zu begeistern, denke ich mir da und betrachte seine gerunzelte Stirn und den gequälten Blick, mit dem er sich wieder dem Radioprogramm widmet.

Beschäftigen scheint die Wahl nicht nur meine Arbeits-, sondern auch meine Studikollegen. So geht es seit längerem in Gesprächen regelmäßig um mindestens einen der Kandidaten – den rechtslastigen und provokanten Sarkozy, die ewig lächelnde, einzige FavoritIN Segolène oder auch den die Linke und Rechte vereinen wollenden Bayrou.

Ein bisschen nachgefragt hab ich deshalb mal bei Sorbonne- und Sciences Po-Studenten und dieser bunte Mischmasch kam dabei raus:

Édouard (18), Politikstudent: „Ich glaube, dieses Jahr sind die Wahlen besonders wichtig, weil die politische Klasse mit anderen Kandidaten erneuert wird. Ich persönlich werde für François Bayrou stimmen. Ich denke, er ist derjenige, der Frankreich wieder aufbauen und neue Perspektiven für die Zukunft schaffen kann. Er schlägt eine Allianz aus Politikern von rechts und links vor und möchte mit einem allgemeinen Konsens regieren. Ideologien gehören für ihn der Vergangenheit an.“

Jean-Baptiste (24), Geschichtsstudent: „Vergangenen Samstag war ich einen Trinken mit Mitgliedern der Bewegung Junger Sozialisten, die ein Argument vorgebracht haben, dass mich doch sehr geschockt hat und an das ich auch vorher nicht gedacht hatte. Auf europäischer Ebene bildet sich nämlich ein Netzwerk von Rechts-Außen Regierungen wie Polen, den skandinavischen Ländern, Italien, Österreich und Dänemark. Und wenn Sarkozy gewinnt, kommt auch noch Frankreich hinzu. Das wird uns unter anderem Bush näher bringen. Im Endeffekt werde ich also für Ségolène Royal stimmen mangels Alternativen.“

Cyprien (21), Student des Wirtschaftsrechts : „Ich werde mich im ersten Wahlgang enthalten, weil es wirklich keinen einzigen Kandidaten gibt, der meinen politischen Werten entspricht. Ich hätte nämlich gerne einen Kandidaten, der wirklich liberal ist – sowohl aus wirtschaftlicher, als auch sozialer Perspektive und was die Sitten angeht. Ansonsten denke ich, der einzige glaubhafte Kandidat ist Nicolas Sarkozy, deswegen werde ich im zweiten Wahlgang in jedem Fall für ihn stimmen.“

Marion (22), Soziologiestudentin : „Im Moment weiß ich noch gar nicht, für wen ich stimmen werde. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Ségolène Royal and Olivier Besancenot. Das Problem für mich ist, soll ich „nützlich“ wählen – also für Segolène – damit nicht das Gleiche wie 2002 passiert, als Le Pen im zweiten Wahlgang war. Oder aber soll ich meinen innersten Überzeugungen entsprechend wählen. Dann würde ich nämlich für Olivier Besancenot stimmen, dessen Programm für mich einfach authentischer ist.

Clément studiert Politik und bereitet sich auf einige Concours Préparatifs für Elitehochschulen wie ENA vor: „Ich glaube, das war ein interessanter Wahlkampf, wenn er auch etwas unschön war, weil eher Personen angegriffen wurden, als grundlegende Probleme gelöst. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich wählen soll, aber ich glaube, da bin ich nicht der Einzige. Ich tendiere aber eher zu Ségolène Royal oder Francois Bayrou, doch die endgültige Entscheidung werde ich wohl in der Wahlkabine treffen.Denn, auch wenn Sarkozy ökonomisch gesehen nicht unbedingt ein schlechtes Programm hat, ist er immer noch unsympathisch und macht Angst.Für mich ist er ein bisschen ein Nixon à la Française, weil er etwas paranoid ist, schnell aggressiv wird und meiner Meinung nach zu nervös ist, um Frankreichs Präsident zu werden. Und er würde als Präsident die französische Nation in zwei Lager spalten wie kein Präsident zuvor. Außerdem bin ich generell eher linkspolitisch, auch wenn Ségolène sich so den einen oder anderen Patzer während der Kampagne geleistet hat – wie zum Beispiel als sie meinte, sie würde das chinesische Rechtssystem bewundern oder als sie nicht wusste, wieviele Atom-Uboote Frankreich hat.“

Hugo, Politikstudent: „Das ist die wichtigste Wahl seit langem mit den wenigstens glaubwürdigen Kandidaten. Wahrscheinlich wähle ich Bayrou, weil ich in keinem Fall links wähle. Für Sarkozy will ich aber auch nicht stimmen, weil ich gegen eine verstärkte Polizeipräsenz bin und mir auch viele seiner Aussagen nicht gefallen. Bayrou wähl ich, weil ich halt eher rechts als links bin, auch wenn Bayrou keine Persönlichkeit hat und schlaff ist. Aber er verkörpert nunmal eher eine liberale und gemäßigte Rechte, mit der ich mich identifizieren kann. Ich fänds besser, wenn die UMP dem Zentrum wieder näher rückt, aber na gut, wenn es nur die UDF in der Mitte gibt, dann wähl ich halt UDF.“

Nicolas (22), Student der Öffentlichen Angelegenheiten (Affaires Publiques) : „Ich stimme für Nicolas Sarkozy, weil ich schon immer eher konservativ war und außerdem glaub ich, dass er der Einzige ist, der wirklich Dinge im Land ändern könnte. Ich finde, er hat eine starke Persönlichkeit und eine gewisse Stärke.An Bayrou hingegen glaub ich nicht. Er ist einfach nicht so gut, wie die Medien das behaupten. Und Ségolène find ich nicht sympathisch, sie hat eine seltsame Art zu reden und ich würde ihr viele andere im linken Spektrum vorziehen.“

Jennifer (22), Studentin der internationalen Politik: „Ich werde für Sarkozy stimmen, wobei das eher aus Mangel an Alternativen so ist. Die ganz linken Kandidaten sind sowieso nicht mein Fall und Ségolène erfüllt einfach nicht meine Erwartungen, selbst wenn ich eher linksgerichtet als konservativ bin. Bayrou ist mir dem Zentrum zu nahe und Sarkozy ist vielleicht nicht der Retter der Welt, aber er könnte Frankreich ein bisschen helfen in Sachen Diskrimination und so weiter.“

Danny (18), Politikstudentin: „Das ist das erste Mal, dass ich wählen gehe und schon vor einiger Zeit hab ich mich für Sarkozy entschieden. Er ist der Einzige mit Charisma und der ein wirkliches Gesellschaftsprogramm vorstellt. So hat er das einzige Wirtschafts-Programm, dass die Arbeitslosigkeit auf angelsächsisches Niveau senken kann. Auch seine internationalen Vorhaben sind interessant, zum Beispiel, was die USA, den Nahen Osten oder auch afrikanische Länder angeht. Was den Wahlkampf angeht, war der sehr viel interessanter als vor 5 Jahren, es wurde nicht nur von Sicherheitsfragen gesprochen, sondern auch von der Arbeitslosigkeit, den Vorstädten und vielen anderen Dingen.“

Heute Nacht um 12 Uhr endet der Wahlkampf offiziell. Die Wahlbüros sind Sonntag bis 20 Uhr geöffnet – dann hat die Anspannung der Kandidaten und Wähler ein Ende, jedenfalls vorerst, bis in zwei Wochen zum zweiten Wahlgang…

L.

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About Lisa (ich selbst)

Huhu! Ich bin Lisa. Seit 2005 wohne ich nun im schönen, kleinen Paris. Schön ist's hier, nette Leute gibt's und viele lustige Dinge passieren. Aber - lest doch einfach selbst... L.