…haben die Anhänger der rechtsextremen Kandidatin Marine Le Pen vergangenen Sonntag aufs Parkett gelegt. Und ich musste dem Spektakel beiwohnen. Ob ichs nun wollte oder nicht.
Die rund fünfhundert Menschen um uns herum brechen in ohrenbetäubenden Jubel aus. Meine Journalisten-Kollegin Katya und ich schauen auf, dann sehen wir sie auch, die Zahlen auf der überdimensionierten Leinwand: 19 Prozent. Eine andere Umfrage sagt Marine Le Pen gar 20 Prozent der Stimmen voraus!
Unsere Kinnladen fallen herunter. Mit Kopfschütteln beobachten wir das wilde Fahnenschwenken in der Mitte des Saales. Menschen fallen sich gegenseitig in die Arme, werfen Letztere in die Luft, schreien ihre Freude laut heraus. Etwa zehn Minuten trubelt die Menge so vor sich hin, dann taucht plötzlich sie höchstpersönlich auf: Marine Le Pen läuft mit in die Luft gestreckten Armen über die Bühne in Richtung Stehpult. Unter strahlend blondem Haar grinst sie ihr leicht oberlippenloses Lächeln, scheint am Gipfel der Freude angekommen – zumindest vorläufig. „Dies ist erst der Anfang“, ruft sie ins Mikrofon. Wieder lauter Jubelgesang. Dann spricht sie von all den Franzosen, die sich mithilfe des Front Nationals nun endlich auf ihre Wurzeln besinnen könnten. „Wir werden die UMP zum explodieren bringen!“, ruft sie und die Anwesenden kreischen laut.
Le Pen ist nämlich der Meinung, die Partei des Präsidenten werde auseinanderbrechen, sollte Präsident Nicolas Sarkozy nicht wiedergewählt werden – nach aktuellen Umfragen das wahrscheinlichste Ergebnis des zweiten Wahlgangs am kommenden Sonntag. Dann könnte es sein, dass der rechte Flügel der UMP sich dem Front National anschließt, während die weniger radikalen Parteimitglieder eine neue Partei gründen oder aber zu einer Zentrumspartei wie dem Modem hinzustoßen.
Mir läuft bei dieser Vorstellung ein kalter Schauder über den Rücken…noch mehr Front-National-Anhänger… Ich starre weiterhin auf die nun wieder wild tobende Menschenmenge.
Irgendjemand hat die Musik voll aufgedreht. Lieder wie Rasputin, Musik aus den Siebzigern oder arabische Klänge dröhnen aus den Lautsprechern. Jung und alt bewegt sich mehr oder weniger geschmeidig über die Tanzfläche. Im Takt oder auch nicht. Mit Fahnen in der Hand und teilweise im Stechschritt. Mit dabei sind einige im sehr strengen Stil gekleidete Männer mit Seitenscheitel, aber auch völlig lässige, normal gekleidete, unscheinbare Mister Jedermanns.
Um die Tanzfläche herum stehen Journalisten. Photographen drücken wie wild geworden auf den Ablöser. Kameramänner gehen näher ran, um den obskuren Tanz auch ja nicht zu verpassen. Auch ich schieße schnell ein paar, wenn auch leicht verschwommene Photos…
„Irgendwie erinnert mich das hier son bisserl an ein Treffen der ‚derniers de la classe'“, raunt mir ein befreundeter Kameramann ins Ohr. Les derniers de la classe kann man in etwa mit „die Übriggebliebenen“ übersetzen.
Ich nicke nur stumm.
Letzten Endes soll Marine Le Pen nur 17,9 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang davon tragen. Damit schlägt sie aber immer noch um einen Punkt den Rekord ihres Vaters 2002. Und man muss sich nun fragen, wer wohl die 6,4 Millionen Franzosen waren, die für den Austritt aus dem Euro und die Anti-Immigrationspolitik der knapp 42-Jährigen gestimmt haben…
L.