Zu richtigen Rugby-Women…

… sind Karine und ich heute geworden. Dabei zählten wir 80 Minuten zuvor noch zur Art der Rugby-Muffel…

„Kennst Du die Regeln?“ fragt mich Karine, als wir in Richtung Stade de France laufen.

„Öhh…“ sage ich nur und Karine und ihr Freund Nicolas lachen. „Na, das kann ja heiter werden“, meint er und zwinkert mir zu.

Um uns herum: ein bunter Strauß an Rugby-Fanatikern, deren Zugehörigkeit generell nicht zu verkennen ist…

…auch wenn Manche dann doch auf Nummer sicher gehen will, dass er nicht dem falschen Team zugeordnet wird…

(man achte auf das Baguette unter dem Arm…)

Gemeinsam mit uns drängen sich all diese Fans in die zum Glück überdachten Zuschauerränge des Stadions. Relativ schnell lassen Karine, Nicolas und ich uns von der guten Stimmung im Stadion mitreißen, singen brav „Allez Les Bleus“ und die Marseillaise mit. Oder eher gesagt, ich singe die ersten drei Worte der Nationalhymne mit – dann gucke ich zu, wie die Französken um mich rum voller Inbrunst das doch leicht blutige Lied vor sich hin schmettern und bei den Worten „Aux Armes, citoyens!“ (Zu den Waffen, Bürger!) begeistert die Fäuste in die Luft werfen.

Es geht los und der Ball fliegt übers Spielfeld. Doch genauso abrupt wie es angefangen hat, kommt das Spiel nach nur zwei Minuten auch schon wieder zum scheinbaren Stillstand. Einer der Bleus (französischen Spieler) hat sich den Ball unter den Arm geklemmt, aber anstatt in Richtung gegnerisches Tor zu laufen, liegt er nun flach auf dem Rasen. Und auf ihm drauf   die Hälfte der irischen Spieler. Von hier oben sieht es aus, als könnte das länger dauern – sehr viel scheint sich in dem Menschenberg nicht zu tun.

„Ich habe einmal ein Baseball-Spiel in den USA gesehen“, sagt mir da Karine ins Ohr, „mein Gott, war das langweilig….“

Das Menschenknäuel auf dem Spielfeld liegt immer noch still. Die restlichen französischen und irischen Spieler stehen drum herum, die Arme in die Hüften gestemmt. Dann fliegt er plötzlich wieder, der Ball, und ein anderer der Blauen düst in Richtung gegnerische Pfähle. Jedenfalls für etwa fünf Sekunden. Dann wiederholt sich die Szene von eben – wenn auch diesmal mit anderen Protagonisten.

Nach der dritten dieser Balgereien kommt das Ärzte-Team auf das Feld gerannt und verarztet die erste Platzwunde unter einem irischen Auge.

„Ich versteh‘ das nicht“, meine ich zu Karine, „wieso macht man sonen Sport – wo es einfach nur ums Prügeln geht?“

„Naja“, versucht sie zu erklären, „vielleicht geht es um das Teamgefühl…“

„Aber da spiel ich doch lieber Fußball, wo nicht ständig einer auf einen einprügelt!“

„Ja“, sagt sie und zuckt ratlos mit den Schultern.

Unten auf dem Spielfeld macht Irland Punkt um Punkt. Um uns herum häufen sich die Buh-Rufe.

Mein Blick fällt auf die Dutzenden von Aufpassern, die um das Spielfeld herum sitzen. Sie sollen wohl Flitzern und Schlimmerem vorbeugen. Die Armen, denke ich nur, da sind sie schon beim Spiel dabei und müssen doch in die falsche Richtung gucken…

In dem Moment werde ich abrupt aus meinem Gedankengang herausgerissen: Die Frankreich-Fans um mich herum springen in die Höhe und johlen – allen voraus Karine! Die Bleus haben endlich mal ein paar Pünktchen gemacht…

Doch nach dem Lichtblick kommt die lange Durststrecke, an dessen Ende die Irländer mit mehr als 10 Punkten führen.

Erst nach der Pause gehts endlich bergauf: Die Französken rennen, werden umgerannt, stehen auf, werden getackelt, tackeln, punkten.

Bei jedem noch so kleinen Sieg jubeln Karine, Nicolas und ich. Unsere Schreie werden immer lauter – auch wenn Karine und ich teilweise kurz nachfragen müssen, was genau passiert ist und warum wir eigentlich gerade jubeln…

Auf einmal höre ich Karine neben mir quieken und als ich ihrem Blick folge, sehe ich drei Mitglieder des Frankreich-Teams beim Aufwärmen: zwei von ihnen rennen abwechselnd gegen ein rotes Lederpolster, das ein Dritter hält. Bei jedem Aufprall quiekt es wieder rechts von mir, und Karine hüpft vor Freude auf ihrem Platz hoch und runter.

Kurze Zeit später erwische ich mich dabei, wie ich, gemeinsam mit Karine, laut röhre als die Bleus wieder einmal einen Meter weiter in Richtung des gegnerischen Tors kommen. Dann setzen wir zwei Grazien uns hin, tackeln uns gegenseitig mit den Schultern und grunzen kurz. Nicolas, der rechts neben Karine sitzt, guckt uns mit großen Augen an und stutzt. Dann wirft er den Kopf zurück und lacht laut.

Als wenig später einer der Irländer zu Boden geht und erst einmal liegen bleibt (er steht nach einigen Minuten wieder auf, scheinbar unversehrt), springt Karine in die Höhe und ruft „genau, zeigts Ihnen!“. Diesmal lachen Nicolas und ich gemeinsam.

In der 79. Minute steht es 17 zu 17 und Nicolas meint: „Lass uns jetzt schon einmal gehen, dann erwischen wir den RER (Vorstadtzug) vor den Menschenmassen.“ Also hüpfen wir schnell von der Bühne und in Richtung Haltestelle. Als wir in den Zug einsteigen, liest Nicolas von seinem Smartphone laut das Endergebnis vor: Gleichstand. „Allez les Bleus“ singe ich leise und lasse mich auf meinem Sitz nieder, mit einem Lächeln auf den Lippen…

L.