Mitter…äh…Museumsnacht in Paris…

…war am Wochenende wieder. Ein Grund für mich, alte Vorurteile gegenüber zeitgenössischer Kunst abzubauen. Oder auch nicht.

Anish Kapoors neuestes Werk wird garantiert zum Stadtgespräch!“, versichert mir seine Assistentin, als ich mit ihr ein Interview für einen meiner Arbeitgeber vereinbare. Ihre Begeisterung strömt dabei sprichwörtlich durchs Telefon.

„Es ist einfach großartig!“, bestätigen wenig später alle von mir dazu befragten Journalisten-Kollegen. „Das musst Du sehen!“

Wad mud, dad mud, denke ich mir also und schlurfe los, am Samstag, in Richtung des Grand Palais in Paris, den man anlässlich der Museumsnacht kostenlos besichtigen darf. Vielleicht entdecke ich ja, wider Erwarten, auf meine Spät-Zwanziger doch noch meine Ader für zeitgenössische Kunst…

Doch zwischen Anish Kapoor und mir liegen zunächst die Champs-Elysées. Sie sind in angenehmen Sonnenschein getaucht, vor der normalen Geräuschkulisse plappernder Touristen, Autos… und Gekreische. Das kommt von der anderen Seite der Straße, wo ich nur vage eine Horde blau-weiß gekleideter Männer in einem großen schwarz-goldenen Eisentor stehen sehe… Schon von weitem begrüßt mich eine immens wirkende After-Shave-Duftwolke, die garantiert die gesamte Champs-Elysées hoch und runter zieht…

„Was ist denn hier los?“ fragt eine junge Dame einen der blau-weißen Männeken, der aus der Horde ausgeschert ist und zehn Meter entfernt auf dem Bürgersteig steht. Er ist groß, blond, blauäugig und breitschultrig, und in seinem Ohr steckt ein durchsichtiger Knopf, durch den er mit dem zweiten ausgescherten Blau-Weiß-Männeken (gleich neben ihm stehend) kommuniziert.

„Wir eröffnen hier einen neuen Shop“, sagt er mit einem breiten Zahnpastalächeln. „Aha“, meint die Dame und wendet sich ab. Ich übernehme: „Ist das das gleiche Konzept, wie bei dem Shop in London?“ frage ich und zeige auf das A&F-Schild neben dem Eingangstor.

In das Geschäft im Westend der britischen Hauptstadt hatte mich meine Mom einmal geschleift. „Die haben so ein innovatives Konzept“, hatte sie, die selbst Mode verkauft, damals gesagt. Und dieses Konzept war gar nicht zu verfehlen: Ein ganzer Pulk weiblicher Kunden stand vor der Tür Schlange – laut kreischend – um mit dem halbnackten Model, das extra zu diesem Zweck an der Tür geparkt worden war, für ein Photo zu posen. Im Inneren dann laute Dance-Musik, zu der die Model-Verkäufer mehr oder weniger rythmisch tanzten.

„Ja, genau das gleiche Konzept wie in London“, antwortet der junge Gott neben mir und zwinkert. Wieder das Zahnpastalächeln. „Aber besser!“ Dann zeigt er auf die Fassade und meint: „Das ist unser Gebäude – schön, nicht? Überall mit Gold verziert…“ Er guckt an dem Gebäude hinauf und sagt: „Da oben sind noch mehr von uns.“ Auch ich entdecke nun einen kleinen Ableger der Horde Blau-Weiß-Hemdriger oben auf dem Dach. Nur winkende Ärmchen sind zu sehen und ab und zu einmal eine Stirn. Instinktiv rechne ich damit, dass die Männeken sich jeden Moment mit lautem Urschrei an einer Liane nach unten hangeln. Doch nichts dergleichen. (siehe Video) …

Nun aber genug der Flachsen, denke ich, und bewege mich, endlich, in Richtung der Ausstellung von Monsieur Kapoor.

Vor dem Grand Palais wartet schon eine circa 50-Meter lange Schlange erst auf mich, dann mit mir auf die Eröffnung des Grand Palais‘. Durch Sonne und Schatten arbeite ich mich langsam vor – bis auch ich in den Schlund des „Leviathan“ eintreten darf. Wie ein großes, rotes Ungetüm liegt das aufgepumpte Gebilde unter der Glaskuppel des Palastes.

Eine der vier miteinander verbundenen Kugeln können Besucher begehen. Sie ist in rötliches Licht getaucht, die Luft ist leicht bedrückend, da komprimiert. So richtig wohl fühle ich, als Asthmatikerin, mich nicht. „Besucher sollen sich ihre eigenen Gedanken dazu machen, hat der Künstler gesagt“, erklärt eine Fremdenführerin in den 20ern. Den ganzen Tag verbringt sie angeblich in dem Gummiball. „Ich fühle mich hierdrin wie in einer Lunge – und find’s herrlich!“ Ich starre sie an. Wie in einer Lunge. Bedrückend.

„Ja, es hat so etwas Organisches“, antwortet eine Besucherin. Sie nickt lächelnd. Ich entferne mich lieber von den beiden.

Doch auch alle anderen Besucher scheinen irgendeinen tollen, stets positiven Vergleich für das Plastikgebilde zu finden – sei es nun „Das Innere der Erde“ oder auch „Das Weltall“.

Ich versuche, mich davon inspirieren zu lassen, laufe herum, betrachte das Kunstwerk, von innen, von außen, gehe näher heran, weiter weg. Zwecklos. Irgendwie bleibt es für mich eine Anreihung von Gummibällen. Leicht enttäuscht schüttele ich den Kopf. Mit einem Seufzen begrabe ich den Glauben an meine versteckte Ader für zeitgenössische Kunst und verlasse den Grand Palais. Und dennoch denke ich trotzig, dass mich dieser ganze Hype eben doch an ein ganz bestimmtes Märchen von Christian Andersen erinnert…

L.