…habe ich langsam Übung – nach knapp einem Dutzend verschiedenen Wohnungen in rund fünf Jahren. Und bei jedem Umzug durchlebe ich eine halbe Depression. Doch schlimmer geht immer, wie mein Taxi-Fahrer mir neulich klarmachte…
Punkt fünf Uhr morgens. Das Taxi steht bereits vor der Tür. Unter Ächzen quäle ich mich durch den Hauseingang. Mit meinem überdimensionierten Reiserucksack auf dem Rücken schaffe ich es nach einigen Anläufen auch aus dem Türrahmen. Auf Abenteuerreise gehts, oder fast – in die Normandie, wo ich die nächsten Tage für eine Filmproduktions-Firma arbeiten werde.
Viel Schlaf habe ich nicht bekommen in dieser Nacht. Zu viel war zu tun, um den Umzug vorzubereiten, der gleich nach dem Dreh droht: mein Bett musste abgebaut werden, und der Schrank gleich mit. Dann alles in den Keller verfrachten und oben die letzten Umzugs-Taschen packen. Den überdimensionierten Rucksack bestücken. Das Zimmer sauber machen. Und mich sauber machen. Und, ja stimmt, schlafen. Drei Stunden. Für mehr war weder Zeit noch Muße.
Erschöpft lasse ich mich deshalb jetzt auf den Rücksitz fallen, murmele nur „Gare Saint Lazare“ und hoffe auf eine geruhsame Taxifahrt. Doch die vermassele ich mir selbst: „Haben Sie bald Feierabend?“ frage ich.
„Ja, in zwei Stunden“, trötet der Chauffeur und holt aus zum minuten(stunden?)langen Vortrag über seinen Arbeitsplan für die gesamte nächste Woche. „Aha“, sage ich und wünsche mich in mein Bett. Er babbelt weiter – und babbeln ist der richtige Ausdruck, denn ich kann sie fast schon sehen, die drei heißen Kartoffeln in seinem Mund – so deutlich sind sie zu hören. Aus den Boxen summt dazu Techno-Musik. Ich entschlummere leicht.
„Aber Sie sehen müde aus“, weckt er mich jäh aus dem Märchenland. Ich nicke, schwach lächelnd. „Und gleich muss ich arbeiten.. – wie die nächsten 5 Tage auch“, sage ich. Dann füge ich hinzu (warum nur?): „Wenn ich wiederkomme, ziehe ich um…“
Das Zauberwort. Umzug. Mein Fahrer schnauft bitter. „Ich mag keine Umzüge.“ Und es schaudert ihm. Dann folgt Stille. Ich treibe schon wieder ab vom Ufer der wirklichen Welt, als er erneut ansetzt: „Ich ziehe auch bald um.“ Hmmm…
„Es geht nicht anders“, erzählt er weiter. „Mein Appartment ist einfach zu laut. Und nicht groß genug. Das geht nicht mehr.“
Ich nicke verschlafen, gucke ihn an, und sein schmerzerfüllter Blick trifft meinen.
„Das ist immer so doof“, meint er. „Man hat eben so seine Gewohnheiten. Die Geschäfte um einen rum, seine Nachbarn – selbst wenn man nicht immer mit ihnen redet. Meine Stammbäckerei gleich nebenan. Die bäckt die besten Croissants der Welt.“
Kleine Blätterteig-Hörnchen fliegen an meinem inneren Auge vorbei. Es riecht förmlich nach Croissant. Mein Magen knurrt leise.
„Meine neue Bäckerei habe ich schon ausprobiert“, sagt er. „Aber das ist nix, das schmeckt nicht, was die backen. Ganz pappig und gar nicht luftig. Ich weiß genau, nach meinem Umzug werde ich einfach keine Croissants mehr essen, Punkt!“
„Ja.“ sage ich. „Das ist doof.“
Er nickt und guckt düster auf die Straße. „Ja, es ist traurig“ ,sagt er.
„Aber…sagen Sie mal, von wo nach wo ziehen Sie denn?“
Er windet sich leicht unbehaglich auf seinem Sitz hin und her. „Naja, ich wohne … am Place de Clichy (im Norden von Paris). Und ziehe…an den Place de Clichy, 500 Meter die Straße hinunter…“
Das weckt mich (fast). Ungläubig starre ich ihn an.
„Äh… können Sie da nicht einfach die 500 Meter zu Ihrer alten Bäckerei laufen?“, frage ich und richte mich in meinem Sitz auf.
„Nein, das mache ich nicht. Ich weiß genau, ich esse dann einfach keine Croissants mehr.“
„Aha“, sage ich. Und lasse mich wieder in meinen Sitz sinken. Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
„Ja, ich weiß“, sagt er, als er meinen Ausdruck sieht. „Ich mag nun einmal keine Umzüge. Das … bedeutet immer so viel Veränderung.“ murmelt er und starrt wieder auf die Straße. Und ich meine, ein Glitzern in seinem rechten Augenwinkel zu sehen…
L.