Ob das wohl an mir liegt…

…dass sich alle Hilfe-Suchenden in Paris kollektiv auf mich schmeißen…?

Da geh ich nichtsahnend meine kleine Rue Auguste Bartholdi in Richtung Heimat entlang und es spricht mich ein Mensch mit Kappe an. Mensch mit Kappe meint: „Entschuldigung, ich möchte sie nicht belästigen, aber dürfte ich Ihnen eine Frage stellen…?“ Hin- und hergerissen zwischen dem plötzlichen Gefühl, reißaus nehmen zu müssen und natürlicher Neugier entscheide ich mich schließlich für die zweite Möglichkeit und sage: „Na, dann schießen Sie mal los!“

Mensch mit Kappe zieht also Kappe ab, fährt sich nervös kämmend durch sein Haar, guckt unruhig nach rechts, dann nach links, schließlich mir direkt in die Augen und fragt: „Also, ganz ehrlich, meinen Sie, ich müsste mir mein Gesicht operieren lassen?“ Diese Frage nun gar nicht erwartend reiße ich mich zusammen, um nicht zu lachen (der arme Mensch gegenüber von mir leidet schließlich unsäglich) und meine: „Öh, nö. Da seh ich keinen Anlass zu.“ Nicht wirklich beruhigt fährt er fort: „Naja, es ist nur so, ich bin arbeitslos und finde keinen Job. Und eigentlich komme ich aus Südamerika, aber ich seh eher aus wie ein Araber. Jedenfalls denken das viele und da dachte ich mir, vielleicht finde ich deshalb keinen Job.“

Musternd gucke ich ihn mir an, den mittelgroßen Mittzwanziger mit den dunklen Haaren, der etwas dunklen Haut, den ich fast als ganz gutaussehend bezeichnen würde und frage ihn: „Ja, und was wollen Sie dann verändern?“ „Ja, alles“ antwortet der. „Die Haare [von dunkel nach] blond färben, die Haut heller machen, die Augen [von dunkelbraun in] blau färben.“ Zehn Minuten rede ich daraufhin auf den Monsieur ein, dass das doch nun wirklich zu teuer sei, er plastische Chirurgie nicht nötig habe und ich genug Leute kenne, die auch wenn sie blond und blauäugig sind, keinen Job finden.

„Ich möchte Sie ja nicht belästigen“, fährt daraufhin Latino fort, „es ist nur so, ich wollte eine neutrale Meinung haben. Meine Freunde sagen auch, ich brauche das nicht, aber denen kann ich ja nicht glauben, die mögen mich ja. Naja, und da wollte ich mal jemand anderen fragen, am besten eine Frau, wie Sie halt…“ Nochmals wiederhole ich, er bräuchte sowas nun wirklich nicht, wenn er wolle, dann solle er aber gerne noch jemand anderen fragen, ich sei sicher, der würde ihm genau das Gleiche erzählen. Daraufhin wird Mister in front of me nochmals nervöser, schaut sich um, sichtlich auf der Suche nach dem nächsten Opfer, murmelt schnell ein Dankeschön und hüpft hektisch davon…ob ich den wohl vorm Messer gerettet hab…?

Zwanzig Minuten später laufe ich wieder die Straße entlang, diesmal in die entgegengesetzte Richtung, Richtung Supermarkt. Kurz vorher kehre ich ein beim Zeitungsladen, um eine Copy zu machen. Da erscheint auf einmal ein vielleicht 8jähriger Junge an der Tür, guckt mich an und fragt „Habla espanol?“ „Si“ antworte ich erstaunt, woraufhin der Kleine sich umdreht, seinen Eltern auf spanisch zuruft, er hätte es doch gewusst und mit denselbigen im Schlepptau in den Laden kommt. Zwei Minuten vorher hatte ich den Dreierpack an der Ampel an der Ecke gesehen und freudig gelächelt, als ich sie spanisch sprechen hörte. Das hatte der kleine Mann wohl gesehen und die Gelegenheit ergriffen, mich jetzt um Hilfe zu bitten. Das Anliegen: eine Kassette aus der Videocamera zu holen und eine neue reinzulegen.
Nicht, dass ich irgendeinen besonderen Technikverstand hätte (noch steht auf meinem Pulli vorne Elektroniker), die suchten wohl einfach nur jemanden, der Spanisch sprach. Zuvor hatten schon diverse „Techniker“ in Elektronikläden an der Straße ihr Glück mit der Kassette versucht – erfolglos.

So stand ich da also, guckte mir die Kamera an, gab sie zwischendurch dem Copymeister, der auch nur hilflos darauf rumdrückte und sie mir dann wiedergab und fand schließlich den Knopf auf dem stand „Eject“. Darauf drückte ich und, schwupps, hatte ich die Kassette in der Hand. Strahlend nahm der kleine Mann die Kassette entgegen, gab sie seinen chilenischen Eltern (die mir inzwischen ihre Feriengeschichte erzählt hatten) und die drei hüpften davon.

Hach, es ist ja so schön, sich nützlich zu fühlen…

L.

Das Internet…

…stellt sich immer noch als sehr störrisch heraus in meinem Leben.

Nachdem die neue Freebox (also der Rooter) endlich in der Geschäftsstelle in Paris angekommen war, stellten Alyosha und ich fest (als wir sie einige Wochen später abholen wollten), dass sie bereits an die Zentrale zurückgegangen war. Die alte funktioniert nicht mehr und so müssen wir nochmal 3 bis 4 Wochen warten, bis die Zentrale die neue Freebox wieder nach Paris schickt und ich sie dann da abholen darf (was hoffentlich klappt, da er ja der Inhaber des Anschlusses ist, sie aber nicht abholen wird können, da er in London wohnt).

Nichts für ungut, dachte ich mir, wozu gibts umsonst WLan in allen MCDo-Geschäftsstellen in Paris. Nicht gerechnet hatte ich dabei mit ständigen Serverproblemen in fast ALLEN Filialen hier, so dass Internet zwar kostenlos, aber nicht funktionierend ist. Nach stundenlandem Marsch fand ich dann doch eine funktionierende Filiale, machte es mir bequem, ohne vorher irgendeinen Schrott an der Kasse zu kaufen. Das jedoch war „obligatoire“ wie der Obermensch mir eine halbe Stunde später verklickerte, woraufhin ich mir dann ne kleine Cola kaufte – zu mehr könnte ich mich bei der zuckersüßen Art des Menschen nun wirklich nicht hinreißen lassen…

Wenn McDo so unfreundlich ist, versuch ich dochmal die Uni, dachte ich mir, und schwupps nahm ich klein Schleppi mit zu Paris I, also zur Sorbonne. Um dort ins Internet zu gehen, muss man jedoch erst schonmal im Netz gewesen sein und sich angemeldet haben mit seiner Emailadresse auf der Unihomepage. Da erhält man dann ein Passwort, mit dem man sich einloggen kann. Auch diese Hürde überwand ich schließlich erfolgreich (McDo musste wohl doch nochmal herhalten) und schleppte mich wieder samt Schleppi in die Bibliothek, wo man das WLan installieren kann. Dort stellte ich dann fest, dass man um ins Internet gehen zu können erst ein Programm runterladen muss, dass natürlich nur IM INTERNET verfügbar ist. Und die Netzwerkkabel von Paris I funktionieren natürlich auch nicht, so dass – ich jetzt wieder bei MCDo sitze und mich vor den Angestellten ducke…

L.

Meine neue kleine Welt…

…ist nun schon seit drei Monaten kurz neben dem Eiffelturm, in einer niedlichen 2-Zimmer-Wohnung mit Durchgangszimmer (in dem ich wohne). Zur Mitbewohnerin hab ich Ella, eine kleine, durchgeknallte Polin, die wohl ironischste Polin der Welt. Ella arbeitet in einer Kneipe im Marais, das das Schwulenviertel in Paris ist. Ihre Chefs wollen aber mit all dem nichts zu tun haben und so arbeiten in ihrer Kneipe nur Mädels (die ja per definitionem nicht schwul sein können…). Das Essen in ihrer Kneipe nennt Ella liebevoll Kantinenessen, so schlecht ist es und so viel hat sie schon seitdem sie dort arbeitet abgenommen, da ihr der Appetit vergangen ist (was übrigens auch für all ihre Kolleginnen gilt…).

Neben meiner kleinen Wohnung mit meiner kleinen durchgeknallten Mitwohni besteht meine neue kleine Welt aus meiner neuen kleinen Uni. Während ich im ersten Jahr an der häßlichsten Uni der Welt war (Panthéon-Assass, eine Mischung aus Nazi-Bunker und Eisenbahnbrücke) in einem der schönsten Quartiers Paris (dem Quartier Latin gleich neben dem Jardin du Luxembourg), bin ich jetzt an der zwar nicht sehr viel schöneren, aber wenigstens im Ausland bekannteren Sorbonne. Dort werde ich nach bestem Wissen und Gewissen alles geben, um einen „Master Recherche Économie Internationale, Développement et Transition“ zu machen, zu dem ich nach dem härtesten Vorstellungsgespräch meines Lebens zugelassen wurde. Siehe Interview an der Sorbonne

Eine Woche gehen die Kurse jetzt schon und lauter nette Leute hab ich getroffen – wie zum Beispiel Cécile, die kleine Französin, die Agroökonomin ist und schon in Argentinien (*schwärm*), Mexiko und Neuseeland gearbeitet hat als Entwicklungshelferin. Cécile ist jedoch doppelt, jedenfalls vom Namen her, denn von meiner ersten Uni (also Assass) hab ich ja schon ne kleine Cécile mitgebracht und weil mir das alles zu kompliziert ist, also erstens ne fremde Sprache zu sprechen und dann auch noch mehrere Exemplare von einer Sorte vor mir zu haben, hab ich Cécile II kurzerhand in „Clara“ umgetauft. Bei dem Namen hatte sie kein Mitspracherecht und so RICHTIG toll findet sie ihn glaub ich auch nicht, aber – was ist, das ist.

Nummer zwei meiner neuen Pappenheimer ist „Alexaaandre“, der eigentlich Alex heißt, aber auch ihn hab ich gezwungen, auf Alexaaaandre zu hören, denn Alexaaaandre klingt einfach zu schön, um es als Alex abzukürzen. Noch reagiert er etwas grummelig auf Alexaaandre, vor allem wenn ich mit meinem kleinen deutschen Akzent um die Ecke gewackelt komme, aber auch daran wird er sich wohl gewöhnen müssen…

Ansonsten ist meine neue kleine Welt ein bisschen größer als die alte kleine Welt (für alle alten Beiträge siehe

Weissercappuccino1), denn zu der alten kleinen Welt ist ja schließlich die neue hinzugekommen, ohne dass die alte komplett weggewischt wurde. Und das ist auch gut so.
L.