…hat sich wohl mein kleiner Körper heute gedacht. Da hatte nämlich die kleine Janina, meine Jetzt-Schwägerin, mir angeboten, dass ich in die Zahnklinik komme, wo sie arbeitet. Nur nachgucken wollte sie gestern in meinem Trümmerhaufen-Mund, ob auch alles in Ordnung sei. Das war es tatsächlich bis auf eine Füllung, die halb herausgebrochen war (und es noch ist…). Also beschloss ich, wiederzukommen, und zwar heute.
Im Halbkoma erwachte ich gegen halb zehn (ich hatte bis halb zwei Uhr nachts gelernt und so ganz spurlos war das wohl nicht an mir vorbeigegangen), stand auf, machte mir Kaffee, lernte ein bisschen weiter. Gegen viertel vor elf fiel mir auf, dass ich noch nicht geduscht war, die Zähne nicht geputzt waren (wichtig beim Zahnarzt!) und ich außerdem etwa 30 Minuten Fußmarsch vor mir hatte. Gegen viertel nach elf (der Termin war um halb zwölf) fiel mir auf, ich würde in jedem Fall zu spät kommen und rief kurzerhand mein Bruderherz an, um ihn anzuflehen, dass er mich doch zu seiner Angetrauten in die Klinik bringen sollte – mit seinem heißen Schlitten…
Glücklicherweise war Frau Angetraute jedoch noch zu Hause und so konnte sie mich direkt mitnehmen, in die Klinik.
Ich hüpfte also los, Haare halb geföhnt und wild in alle Richtungen stehend, Zahnbürste im Mund (zuhause war ich nicht fertig geworden) und leicht hektisch, da ja leicht zu spät. Trotz der Schmach in die ich als rothaariges, hüpfendes Wuschel-Etwas mit Zahnbürste im Mund nun meine Eltern bis ans Lebensende gestoßen hatte, öffnete mir Janina am Treffpunkt angekommen bereitwillig die Tür und chauffierte mich zu ihrer kleinen Klinik.
Dort angekommen verlief auch alles wie am Schnürchen – zunächst jedenfalls. Sie zog ihren Kittel an (verleiht ja schon Autorität, son Kittel…) und ich machte mirs bequem auf dem Zahnarztstuhl. Nachdem wir festgestellt hatten, ich komme nach meinem Bruder (ich bin genauson Angsthase was Schmerzen anbetrifft wie er), beschlossen wir – ohne Spritze gehts nicht!
Madame zückte also die Nadel, piekste in meinem Mund herum (nachdem sie mir gesagt hatte, ich sollte schön die Zunge zur Seite halten…was allein mir schon ein mulmiges Gefühl gab) und zog die Spritze unverrichteter Dinge wieder aus meinem Mund: „Da hab ich wohl ein Gefäß getroffen“, sagte Janina und ich sah nur das Blut vorne an der Nadel, spürte ihren Finger in meinem Mund, der die Wunde zudrückte, und vor meinem inneren Auge erschien ein Riesenblutstrahl, die sich den Weg an ihrem Finger vorbei in meinen Mund bahnte…
Routine sei das, meinte sie nur. Doch als sie zum zweiten Mal mit der Nadel in meinem Mund rumfuhrwerkte, war ich deutlich angespannter, versuchte mich selber zu beruhigen, jedoch ohne Erfolg.
So drehten sich gerade alle um, suchten nach dem Bohrer, als ich nur meinte „Janina, mir ist nicht so gut.“ und „Bin gleich weg“, was ich denn auch war. Entschwunden in die schönste Blumenwelt, einen Dornröschenschlaf, der jedoch jäh nach ein paar Sekunden wieder unterbrochen wurde. Stimmen waren zu mir durchgedrungen, ich fragte mich, was die wohl von mir wollten, bis ich Janina erblickte, die mir die Wange tätschelte und alle anderen auf der Station, die auch um mich rum standen.
Während meiner drei Sekunden Ohnmacht hatte wohl der Bär gesteppt auf der kleinen, verlassenen Station im obersten Stockwerk der Zahnklinik – eine war losgerannt, hatte den Notkoffer geholt, eine andere sollte den Arzt holen, die dritte legte mir ein nasses Tuch auf die Stirn. Was ich nicht mitgekriegt hatte war mein halb-epileptischer Anfall, also das Zusammenkrampfen meines Körpers während meines Blackouts – Janina hätte sich bei meinem Anblick gleich neben mich legen können, sagte sie später.
„Das ist mir noch nie passiert“, und meine kleine Schwägerin schaute mich mit großen Augen an. „Meine erste Ohnmacht war es auch“ sagte ich dazu und fügte hinzu: „Naja, wenn das so angenehm ist, kann Sterben ja nicht so schlimm sein.“
Daraufhin guckte Janina mich mit noch größeren Kulleraugen an und meinte nur: „Na, Lisa, damit warten wir aber noch ein bisserl!“ „Ja.“ sagte ich grinsend, „versprochen.“
L.